1919 – Hunger, Elend und die KOCHKISTE
Nach dem Ende des für das Deutsche Kaiserreich miserabel abgelieferten 1. Weltkriegs sah es für die Bevölkerung richtig übel aus. Hohe Kriegsschulden, eine am Boden liegende Wirtschaft, fehlende oder verstümmelte Arbeiter, schlechtes Wetter und total magere Ernten machten der vom Krieg schon bis zur Selbstaufgabe ausgebluteten Bevölkerung das Leben beinahe unerträglich.
War es vor dem Krieg unnötig, sich mit Vorräten einzudecken, war dies 1919 geradezu Bürgerpflicht. Doch nun gab es keine Vorräte, die man hätte hamstern können.
Die schiere Not regierte ein Leben von der Hand in den Mund.
Nicht, dass dies nicht schon vorher bereits gelebte Praxis gewesen ist. Alle Einwohner des Deutschen Reiches hatten noch die Hungersnöte im berüchtigten Steckrüben- / Kohlrübenwinter der Jahre 1916/1917 in grausiger Erinnerung. Als der Krieg schon einmal alle Lebensmittel verschlang und die britische Seeblockade jeden Nachschub unterband.
Auch in früheren Jahrzehnten war es zu Engpässen in der Lebensmittelversorgung und zu inflationären Marktpreisen für qualitativ unhaltbare Nahrungsmittel gekommen. Aber so schlimm war es noch nie. Viele hungrige Mäuler, keine oder nur wenige gesunde männliche Versorger und ein leergefegter Markt.
Es drohte nach dem 1. Weltkrieg eine totale Hungersnot und die „Deutsche Nationalversammlung“ debattiert am 11.03.1919 ganz ernsthaft über die schlimme Ernährungslage. Den Hungertod der Deutschen vor Augen. Die Delegierten mussten ja nur den Reichstag verlassen, um bereits an der nächsten Straßenecke mitten im Elend zu stehen.
Feuerholz gab es in den Städten nur zu Höchstpreisen, Kohlen für die Herde und Öfen waren nur unter der Hand zu bekommen, da die Kriegsreparationen einen vollständigen Export der Kohleförderung nach Frankreich verlangten.
Und wie sollte die Hausfrau das wenige Essen kochen und warm erhalten?
Die Lösung war die „Wärmekiste“ (auch Kartons, Koffer, Truhen, Hutschachteln ……. waren in Gebrauch).
In sie wurde der Topf, die Schüssel mit der nur minutenlang aufgekochten Mahlzeit gestellt, um diese/n herum wurde der verbleibende Leerraum mit allem ausgestopft was der Haushalt an Geeignetem hergab. Geeignet waren Zeitungen, Stoffreste, Strickwaren vom Pullover bis zu Socken, Holzwolle, Schals, Decken aller Art und in große Kochkisten wurden tagsüber sogar die mit Federn gefüllten Kopfkissen für das Nachtlager gestopft.
Die Speisen wurden mit einer geringen Menge der wenigen vorhandenen Kohle oder dem Feuerholz sparsam bis zum Aufwallen + weniger Minuten (3-20 Minuten je nach Lebensmittelart) gekocht. Dann schnellstmöglich vom Herd genommen, ordentlich zugedeckt, in die vorbereitete KOCHKISTE gestellte, der Leerraum um und über dem Topf und im Kistendeckel wurde mit vorgenannten, isolierenden Mitteln des Haushalts fest zugestopft und die KOCHKISTE wurde so schnell wie möglich verschlossen.
KOCHKISTEN in Truhenformat dienten in kalten Jahreszeiten zudem als Sitzmöbel, um selbst die geringe Abwärme nicht ungenutzt zu lassen.
Nach einer bestimmten Zeit – 1 bis 3 Stunden waren je nach vorbereiteter Speise üblich – konnte die Hausfrau auftischen. Kam der Hausherr später konnte auf diese Weise auch noch zugewartet werden.
Diese steinalte – nicht auf Deutschland allein beschränkte – Art und Weise hatte immer dann große Mode, wenn es um die Lebensmittelversorgung schlimm gestellt und der Hunger grimmig war.
In ihrem 1919 veröffentlichten Buch „Gesegnete Mahlzeit – Das Kochbuch für alle“ beschreiben Emma Kromer und Hedwig Neumeier (beide Vorsitzende der Hausfrauenbünde Mannheim bzw. Heidelberg) die Nutzungsmöglichkeiten und die Koch- und Garzeiten der Speisen einer KOCHKISTE unter dem Motto:
„MIT VIELEM HÄLT MAN HAUS,
MIT WENIGEM KOMMT MAN AUS.“
Es leuchtet mir ein, dass diese Maßnahme in wirtschaftlich angespannten Zeiten eine galante Möglichkeit ist, mit dem Wenigen auszukommen, was die Folge des Schaltens und Waltens der oberen Gesellschaftsschichten dem zum Ertragen bestimmten Volke übriggelassen hat.
Oder mit meinen Worten: „Not macht erfinderisch !“
Verweise:
Wer sich über die ernsthafte Notlage unserer Omas und Uromas unterrichten möchte, der sollte im Web unter „Frankfurter Zeitung 11. März 1919“ suchen und dem Link in das Archiv der FAZ zum Original folgen.
Eine weitere Quelle ist die Internetadresse „https://historische-zeitungen.de/Zeitungen-11.03.1919.php“. Die Zeitung kann kostenlos heruntergeladen werden.
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