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“Der falsche Woldemar” von Willibald Alexis – 1842 – Kapitel 3

by Eugenie

 

Der falsche Woldemar
3.

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“Die zerstörte Mühle.”

Als der Tag anbrach und durch die frischen Lüfte die Sonnenstrahlen zuckten, sah es anders aus auf dem Lagerplatze.

Die Nacht war ruhig verlaufen. Bevor sie die Feuer aufs neue anfachten zum Frühmahl und Wasser holten, um die Pferde zu tränken, verrichteten sie, wie es Reisenden ziemt, insonders aber zu so gefährlichen Zeiten, ihre Andacht. Sie lagen aus den Knien, der Domherr sprach das Gebet und der Dominikaner administrierte. Es war ein schöner, feierlicher Anblick, die vielen still Betenden gesenkten Hauptes auf dem Boden und der blaue, stille Frühlingshimmel über ihnen. Doch knieten nicht alle.

Der Jude schnürte in einem Winkel sein Bündel, still auch, daß die anderen ihn nicht merkten. Und die Frankfurter Bürger waren seitab getreten hinter die Mauern; sie als unter dem Interdikt durften nicht mit den guten katholischen Christen ihren Herrn aus einem Munde preisen.

Da schauten Herr Eike Winns und die anderen von der Höhe draußen sich um. Mochten auch ihre Morgenandacht halten; denn sie sahen still und nachdenklich in den blauen Himmel, der über alle Kreatur ausgespannt ist, wes Glaubens sie sind, ob Ketzer oder Rechtgläubige, ob solche, denen die Messe gelesen wird, und die heiligen Sakramente werden ihnen gereicht, oder sie sind im Bann und dürfen nicht über die Kirchenschwelle. Die Lerchen stiegen wirbelnd in die Lüfte, viel tausend; und der Dampf, der über dem Fließe lag, stieg auch auf. „Es wird ein schöner Tag,” sprach Herr Eike, und hörte den Lerchen zu oder dem Gesänge der Christen hinter der Mauer, und sein Gesicht war ernst, aber nicht finster.

Aber um wie klarer der Tag ward, mußte der Blick finsterer werden, so er die Zerstörung umher maß. Die Trümmer, darin sie gerastet, waren nicht, als sie gestern glaubten, von einem Herrenhause; bei Nacht sehen Ruinen größer aus. Sie waren nur von einem Mühlenhofe. Der mochte seiner Zeil stattlich genug ausgeschaut haben, und von der Mühle standen noch die Gerippe da; ja sogar ein zerrissener Flügel, der sich im Winde drehte, wie zum Hohn der Zerstörung, die er überdauert. Die Mühle stand auf einem Hügel, und man konnte weit hinaus schauen ins Land. Wer es ehedem gekannt, der tat besser, er drückte die Augen zu. Nur tiefer unten am Fließ standen ein paar Lehmhütten, versteckt in Erlenbüschen. Die junge Saat war sparsam; kein Hase konnte sich darin verstecken. Der Wind spielte mit dem Sande, er häufelte ihn und trieb ihn wieder fort. Zwei öde Kirchtürme ragten aus der Ferne. Darum sah es schwarz und wüst ans.

Herr Eike sprach: „So man doch nur eine Glocke hörte!” Er hielt die Hände vor sich gefaltet.

„Bei uns in Frankfurt?” fragte der andere. „Meine doch, Herr Winns, es läßt sich leben auch ohne den Lärm. Wir haben’s bewiesen, den Pfaffen zum Trotz.”
„Ist doch schön das Glockengeläut in einem christlichen Lande,” sagte jener. „Klingt wie die Zünglein der Engel, die da singen: hier ist Friede im Lande.”
„Mögt recht haben,” antwortete jener. „Mir aber dröhnt’s wie der Pfaffen Geschrei, daß sie essen wollen und trinken, und rufen: Wir haben allein zu sprechen, ihr anderen aber durstet, hungert, seid gehorsam und haltet das Maul.”

Herr Eike wiegte den Kopf: „Mögt auch recht haben. Die Pfaffen taugen nichts! Wäre aber doch besser, so sie was taugten.”

„Die Mohren wäscht man nicht weiss,” entgegnete der andere. „Werdet Ihr in Brandenburg zum Dominikaner gehen, Herr Winns? Gegen uns soll’s gemünzt sein, was er predigt, ich hört’ es von vielen. Die Kutten brüten was; und ihre Küchlein sind nie für andere Leute. Es geht gegen uns, Herr Winns, glaubt mir. Sie wollen einen Kreuzzug.”

Der Kaufherr schüttelte bedächtig den Kopf: „Das ist nicht um uns, Lieber. Unsere Mauern sind ihnen zu hoch und unsere Stirnen zu hart. Hinter dem Schilde steckt anderes.”

„Meint Ihr?”

„Im Reich ist’s nicht richtig. Die Fürsten gönnen dem Bayern nicht die Mark. Es geht gar wunderlich Gerede.”

„Wären wir beim Hause Anhalt blieben, es wäre besser, Herr Winns, ich sagt es und sag’ es noch. Beim Rudolph von Sachsen oder bei den Dessauer Herren; das sind gute Leute und sächsisch und vom Stamme Anhalt. Kennen uns, und wir sie. Der Bayer, das ist schon wahr, läßt viel drauf gehen und uns viel Verdienst: aber er gehört nicht zum Land und das Land nicht zu ihm.”

„Aber er ist nun unser Herr.” sagte mit Nachdruck der Patricier. „Ist an uns nun, festzuhalten an dem, was wir haben, und nicht zu träumen von dem, was wir bekommen könnten. An solchen, die uns fischen möchten, fehlt’s nicht. Darum trüben sie das Wasser, und verreden unseren Markgrafen über Gebühr. Das ist nicht recht; und ein guter Bürger muh dagegen tun, was an ihm ist.”

„Aber so der Kaiser, als es heißt —
“So der Kaiser,” fiel Herr Winns ein, „den Markgrafen nicht mag, so laß den Kaiser ausmachen mi
t dem Markgrafen allein, und misch’ dich nicht in das, was dich nichts angeht. Riechst du nicht den Braten? Der Kaiser, der Sachse, der Dessauer, der Magdeburger, der Mecklenburger, der Pommer, jeder möchte das Stück für sich, oder, da’s ihm die anderen nicht ließen, doch einen Bissen davon. Wissen nur nicht, wie sie’s anfangen sollen. Da wird im stillen gemunkelt und gemogelt, geschürt und gehetzt. Wollen kein offen Unrecht thun vor der Welt; denn jedes Unrecht, dafür ist ein Rächer in der Welt. Sie suchen nach Vorwänden, daß sie mit Rechten ins Land fallen.

Jede Klage von uns ist ihnen recht. Es kann ihnen nicht schlecht und greulich genug bei uns aussehen: möchten, es wäre eine Räuberhöhle von der Elbe zur Oder, damit sie einen Grund fänden einzufallen. Glaubt mir, Lieber, diesmal arbeiten die Pfaffen nicht für sich, es stecken andere hinter ihnen: sie sollen den Brei nur einrühren, den jene wollen verzehren.
Merktest du’s nicht an dem Ger
ede gestern? Wie viele Kapuzen ziehen durch Dörfer und Städte und von jeder Kanzel predigen sie, wer hören will, und die vielen Pilger, die von Burg zu Burg und Dorf zu Dorf schleichen und horchen und schwatzen. Es tut nicht gut, wahr und wahrhaftig nicht gut, Herr Gevatter, wo kleine Leute sich in die Zwiste der Großen mischen. Das möchten sie aber, uns stacheln und beschwatzen, daß wir einen Aufstand machen gegen den Markgrafen. Da würden sie kommen und uns helfen und ihm helfen, und jeder hülfe sich doch nur selber; und das Elend würde nur größer. Wer was gewönne, daß weiß ich nicht; wer aber auf alle Falle was verlöre, das sind wir. Darum ist’s meines Dafürhaltens, wer ein guter Märker ist, hält die Ohren zu, und läßt die Herren ihre Sach’ allein ausmachen. Unser Markgraf ist schlimm, aber wir könnten noch einen schlimmeren kriegen.”

Der andere machte den Patricier auf einen alten Pilger aufmerksam, der vor einem ausgewaschenen Marienbilde seine Andacht verrichtete; und scheine ihm einer zu sein, der es ernst meine: „So lang’ er mit uns zieht, merkt’ ich, er war nie laut und frech, ja er mahnt die anderen ausgelassenen Gesellen zur Gottesfurcht. Es ist etwas Besonderliches an ihm, wenn er vor jedem Bilde und Kreuze kniet. So tun nicht die anderen: auch wollt’ ich schwören, er war wirklich im Morgenlande.”

„Schwöre nicht,” sagte mit gerunzelter Stirn Herr Winns „Traue lieber den, Fuchs als einem Pilger. Unter dem gleitenden Schein ist nichts denn Heuchelei, Faulheit und liederlicher Sinn. Sie schleichen, lauschen und stehlen. Gutes kam noch von keinem Pilger über das Land.”

Lautes Reden und Scheltworte vom Mühlhofe her unterbrach sie. Sie drängten dort um einen fremden Mann, den sie einen Späher schalten. Wesen und Tracht nach war er vom Lande und schaute dreist und keck vor sich. Aber sie hatten ihn ergriffen, als er hinter einer Mauer gelauscht. Zu solchen Zeiten ist jeder verdächtig, der sich in ein Lager drängt Die Stellmeiser schlichen unter allerhand Gestalt umher und spürten aus, wo sie nachgehends einen Anfall taten.

Aber der Mann schüttelte sich unter den Fäusten, die ihn faßten und schlugen wie einer, der ein gut Gewissen hat und sagte, daß er kein Schelm sei.
„Das ist aber Schelmenart,” rief ihm der Junker zu, „so einer dasteht, wo er nicht hingehört, und man weiß nicht, wie er herkam.”
„Ihr Herren,” sagte der andere, und es war etwas Schelmisches um den Mund, „die Red’ könnt ich euch wiedergeben. Wüßt’ ich doch nicht, wie ihr herkamt, noch wo ihr hingehört.”

Da riefen einige: „Schlagt den frechen Gesellen!” Andere gar: „Macht’s kurz mit ihm. Henkt ihn!”
Aber der Ritter und der geistliche Herr waren nicht dafür: „Laßt ihn reden erst.”
„Daß Gott erbarm,” sprach der Fremde, als sie ihn losließen. „Meines Zeichens bin ich ein Müller, und so einer hierher gehört, so bin ich’s und nicht ihr, mit Verlaub zu sprechen. Denn ich sehe nun auch, ihr seid nicht schlechte Leute, als ich glaubte.

Ich heiße Balthasar und bin drüben aus Hundeluft, und die Mühle hier und der Grund und Boden sind itzo mein, mein, so gut ein ehrlicher Mann etwas sein nennen kann in diesen schlimmen Zeiten.”

Einem Müller traut man nicht gleich. Aber er wußte gut Red’ und Antwort zu geben, daß er mit seiner Frau das Grundstück und die Gerechtigkeit erheiratet. Wegen der bösen Zeit habe er lange außerhalb gewohnt. Nun aber aus dem Kriege mit dem Magdeburger nichts geworden, seien, sie wieder ins Land gezogen und wohnten drunten zwischen den Elfen. Er werde es wagen und die Mühle wieder aufrichten und zimmern, komme dann was Gott wolle. Einige trauten ihm noch immer nicht.

„Herr du mein Gott”, rief er, „ihr Herren, ihr seid doch nicht von hier und habt kein Recht an Mühle und Gehöft. Wie kommt’s nun, daß ich euch muß Rede stehen, und ich könnte euch fragen: wer erlaubte euch, hier euer Lager aufzuschlagen und die Bretter abzureißen und die Weiden zu fällen, die mein sind und meines Weibes? Aber ihr seid die Stärkeren und ich bin der Schwächere.

Da liegt’s, sagte Jakob Rehbock.”

Sie fragten ihn, wer Jakob Rehbock sei? und er antwortete, das wäre eine Geschichte aus alter Zeit. Eine Geschichte aber hörte jeder gern, und der Müller war ein munterer Gesell, der wohl gut erzählen konnte. Also um der Geschichte willen ließen sie die Eile Eile sein, das heißt, es fand sich, daß noch nicht getränkt war, oder ein Sattelgurt zerrissen, oder sonst was sie nötigte, noch zu verweilen, um dem Müller zuzuhören, der auch nicht übel Lust hatte’, zu erzählen. Also hub er an, und die einen setzten sich, die anderen standen um ihn.

„Diese Mühle, müßt ihr wissen, als sie noch neu dastand, war eine der stattlichsten im Land. Es waren reiche Müllermeister, niemand untertänig; war ein frei Eigentum, vor alters dem Grundherrn abgekauft, und die Rehbock, so hießen sie, wußten sich ihrer Rechte zu wehren, das will ich meinen.
Ein Schlag Leute
war’s.
Ich
kann’s rühmen; denn ich bin nicht von ihnen. Ich hab’ das Gut bekommen durch Heirat mit der Erbtochter. Der alte Dietrich Rehbock war meiner Frauen Großvater; der galt fast als ein Hexenmeister, und die Leute fürchteten ihn. Aber er war nicht so schlimm, nur pfiffig, und hielt dafür: wen die Leute fürchten, der braucht sich nicht zu fürchten.

Darum hat er ein Maul gehabt, davon sie noch erzählen, und sagen, er hätte sich den Wind selbst gemacht, weil er so aufschnitt. Was er wollte, hatte er weg. Die Mühle war in gutem Stande; er hatte immer Wind und immer Mahlgäste, auch ohne die da kommen mußten, und die Schnapphähne hatten gar Angst vor ihm.

Als er starb, überkam sein Sohn, der hieß Jakob, das Ganze. Der war eigentlich noch pfiffiger als sein Vater, und die Familie und alle Leute erwarteten Wunders was von ihm.
Aber er hatte einen unruhigen Sinn. Der war die wenigste Zeil in der Mühle, mußte seinen Kopf überall hinstecken, wo es was zu
tun gab. Auf der Wanderschaft war er durchs ganze Reich gewesen, und hat als ein junger Bursche sprechen können, daß der Pfarrer die Augen aufriß; und der Syndikus, als er ihn mal hörte zu den Bauern sprechen, sagte, den möchte er vor die Stände hinstellen, wenn es gälte, Steuern fordern.

Das also war der Jakob Rehbock.
Viel weiß man nicht von ihm; so viel er auch erzählte, wenn er von Reisen heimkam, man durfte das wenigste glauben; und was man wissen wollte, erzählte er nicht. Seine Mutter hatte ihm ein brav Weib gegeben, und wäre die nicht gewesen, hätte es mit der Wirtschaft schlecht gestanden. Nun kann man sich denken, wie die ihn anfuhren und ihm predigten, wo er so lange ausblieb, was er denn für Haus und Hof getan, und eingekauft und Kunden geworben ? Da hörte er es schmunzelnd mit an, und klopfte endlich auf die Tasche und sprach: Hier sitzt es. Und jedesmal brachte er ein gut Stück Geld vor. Das freute die Weiber auf die Erst, denn bar Geld kann man immer brauchen. Aber nachher fürchteten sie, er hätte es auf schlechte Weise erworben und es gab auch Gerede mancherlei, daß er unter den Schnapphähnen gewesen.
Wenn er davon hörte, lachte
er noch Heller auf, antwortete aber nichts. So schlecht war er wohl nicht. Er wollte nur hoch hinaus; in der Mühle war’s ihm zu eng. Nun kam die Nachricht, daß ihn einige gesehen, in bunten Kleidern, unter dem Gefolge des Markgrafen Woldemar.

Wenn man ihm das sagte, lachte er auch und wollte es nicht Wort haben: aber es war ein gar seltsam Lachen, und er machte einen Spaß und sprach von anderen Dingen. Und so mag es auch wohl seine Richtigkeit gehabt haben.
Der große Markgraf litt, als sie sagen, gern Gesellen um sich, die klüger waren als die anderen, und brauchte jeden, wozu er ihn gut fand. Dadurch war’s, da
ß der Fürst sein Land so gut kannte und überall zu Haus war. Aber der Jakob Rehbock war nicht mehr zu Haus. Denn wo er wiederkam, da ging’s auf ihn los, wie so Weiber sind, Mutter, Frau, daß er in der weiten Welt umschweife und sich um Weib und Kind nicht kümmere.
Bleib im Lande und nähre dich redlich, rief die eine, und die andere: was mußt dich
um Dinge kümmern, die dich nichts angehen. Hochmut kommt zu Fall.
Beim Jakob Rehbock aber schlug’s nicht an, er ward auch zornig, wenn’
s ihm zu viel ward, und sprach: Was ein Müller braucht, das lernt ein Schuster in drei Tagen. Aber was noch mal aus mir werden kann, das schreit der Hahn nicht, wenn die Henne legt.
Da schrie das Weibervolk dann: Was soll denn aus einem Müller werden? Kein Hahn fliegt über den Zaun. Da fluchte er und lachte und hielt das Weibergeschrei nicht aus, und lief fort und ließ sich immer seltener sehen. Einige meinten nachgehends, er sei dem Markgrafen wirklich lieb worden, weil er auf alles Bescheid wußte und in alles sich fand, und der hätte ihm manches auszurichten gegeben.”


Der alte Junker sagte: „Des Mannes Rede ist wahr. Ich entsinne mich, daß bei
m seligen Markgrafen ein Dienstmann war, auf den er viel hielt, und der hieß so. Er wußte um seine Heimlichkeiten. Aber die er brauchte, daß sie ihm den Rock auszogen, die machte er nicht zu Rittern.”

Alle lachten laut und waren zufrieden. Aber da der Müller so gut erzählte, sollte er sie noch ein Stück Weges begleiten. Sie wollten mehr von dem hochfahrenden und pfiffigen Müller hören, dem der Hof gehört.

„Davon kann ich euch nicht viel sagen”, antwortete Balthasar. „Denn was ich davon weiß, habe ich nur vom Hörensagen.
Nach einem heftigen Streit, den er wieder mit den Weibern gehabt, kehrte er gar nicht wieder. Einige meinen, er sei in der Schlacht
bei Gransee, als der Markgraf vom Pferde stürzte und gefangen ward, von einem Mecklenburgischen niedergehauen worden. Und das wäre so gekommen. Er habe des Markgrafen Farben getragen und seinen Helm, darum daß der Fürst nicht erkannt würde. Da sei er gestürzt, und da er geschrien: ich bin Woldemar, hieher ihr Brandenburger! seien alle auf ihn losgefallen, und er wäre für feinen Herrn gestorben. Und er entkam.

Andere aber meinen, er wäre dort noch mit dem Leben davongekommen; aber der Markgraf habe ihn vor seinem Ende nach dem gelobten Lande geschickt, daß er am Grabe des Herrn für ihn bete und Gelübde löse, so der Fürst getan, und der Tod sei zu rasch über ihn gekommen, daß er es noch selbst löse.

Wer weiß das!. Das sind alle Dinge. Aber ist ihm gut, daß er nicht mehr erlebte, was hier vorfiel.”

Da sie an die Stelle gekommen, wo vordem das Tor war, und es standen noch die beiden steinernen Pfeiler, aber der Bogen oben war durchbrochen, seufzte der Müller und wiederholte: „Ja, wohl ihm, daß er das nicht mehr erlebte.”

Er wies auf ein hölzern Kreuz, das schon bemoost war, und daneben war ein grüner Grabhügel: „Hier ruht sein ältest Kind, ein Mägdlein, das er sehr lieb hatte. Er müßte sich im Grab umwenden, so er das wüßte. Und mein Weib, wenn sie des gedenkt, fällt in ein Schluchzen, und es hört nicht auf, wie der Mühlenflügel, wenn Wind ist.”

Der Müller, ob er schon nicht Lust zu haben schien, mußte die Geschichte auch erzählen:

„Des Jakob Witib, müßt ihr wissen, war ein Weib, das war tüchtig und beherzt. Gott hab’ sie selig, meiner Frauen Mutter. Die Wirtschaft ging besser noch denn zu Jakobs Zeiten. Sie sah überall zum Rechten und die Knechte fürchteten sie.
Wagten sich auch keine Banden, nachts an ihre Mühle zu klopfen.
Sie hatte sie mal mit blutigen Köpfen fortgeschickt und hatte davon großen Ruhm im Lande. Davon überhob sie sich. Ein Weib soll man nicht zu sehr loben und nicht zu sehr schelten; es schlägt beides zum Schlimmen aus.

Als die grausamen Feinde nun kamen, und alles was Beine hatte, flüchtete in die Städte und Burgen, und trieben das Vieh in die Moräste, da meinte sie, es sei eitel Furcht der, Furchtsamen und wollte Haus und Hof nicht verlassen. Das war Hochmut, der ihr in den Nacken schlug; einen einzelnen Hof gegen ein feindlich Heer halten mit ein paar Knechten und Mägden! Sie hat’s gebüßt. Ja, ihr Herren, wo ihr hier tretet und geht, und wo eure Rosse soffen, da floß Blut und lagen Leichen umher.
Es soll schreckhaft ausgeschaut haben!
Auf den ersten Anlauf, wo ihrer nur wenige waren, hatten sie sie wirklich abgeschlagen, und die Bolzen sausten ihnen, wie zum Spott, nach. Auch hörten sie Gelächter, Weiber können das nicht lassen. Da sah sich einer um und rief: Du, was ist das ein schön Weib! Und der andere schrie: die muß ich haben!
Nämlich das war ihre Tochter Gertrud, die hatte
aus dem Müllerloch geguckt. Ihr Oberfeldherr, der es hörte, rief: Wer sie sich holt, des soll sie sein.’ Da schämten sie sich und sammelten ihre Leute und achteten nicht mehr der Bolzen und Steine.

Aber wie sie über die Mauer waren und durch die Fenster hinein, war die Flamme schon mit ihnen und vor ihnen, denn ihre Leute hatten die Mühle angesteckt und von der Mühle war der Brand ins Dach geschlagen.
Und doch gaben sich die Müllersleute nicht. Sie wußten, was ihrer wartete. Seht, auf dem
einen gräßlichen Flecken kamen sie alle gräßlich um.

Das war noch nicht das Entsetzlichste. Zwei Kinder lebten noch von dem Jakob. Ein Kind, das trugen sie auf dem Arme fort, ein Mägdlein; ist jetzt mein Weib. Der Voigt von Sarmund nahm es nachmalen den Räubern ab, als er sie an der Ruthe überfiel, die andere war eine schöne Maid. Wär’ doch auch ein glühender Balken auf sie gefallen!”

Der alte Pilger, der vorhin an der Mauer kniete, hatte sich vorgedrängt. Er horchte, auf den Stab gestützt, den Mund halb geöffnet: „Was ward aus der Gertrud?” sprach er, als könne er’s nicht erwarten,

„Das ist ihr Grab. Die zwei Litauer hatten sie aus dem Feuer errettet. War ihre Gefangene. Beide waren Hauptleute aus ihrem Volk, aus fürstlichem Blut. Beide jung und verwegen; aber das Feuer, so in der Mühle Eingeweiden prasselte, brannte nicht heißer als ihr Blut in den Adern, da sie die schöne Maid hier sahen. Die stand hier, die Arme auf der Brust gekreuzt, stumm und sonder Regung, wie ein steinern Heiligenbild.
Und die beiden sahen sich an als zwei Raubvögel und das Täublein liegt zwischen ihnen.
So ein heidnisch Volk macht nicht viel Worte, die Blicke sagten’s einander, was sie dachten, und die Zähne, so sie einander wiesen. Und mit einem Ruck hatten sie beide
die Säbel raus. Ein Knecht, der verwundet dalag, hat’s nachher ausgesagt. Noch war kein Streich versetzt, da kam ihr Feldherr angeritten. Das war ein Riese, davor zittern mußte, wer ihn anschaute, und sie ließen die Säbel sinken. „Ho,“ rief er, „tragt euren Streit mir vor, daß ich entscheide.“ —

Nun sprachen sie beide, als wie man in der Wut sprechen kann. Der eine hatte dies, der andere das für sich. Der hatte sie unter der Decke fortgerissen, die einstürzte; der den Reiter niedergeschlagen, so sie töten wollte. Da schwor der eine bei seinem Blitzgott, und der andere beim Donnergott, daß er den zerhacken wolle in kleine Stücke, der sie ihm nehmen möchte. Der Feldherr rollte die Augen und rief: ,Ich weiß genug. Beide seid ihr gute Kämpen, und beide habt ihr gleiches Recht. Darum nehmt sie beide Und als sie ihn verwundert anschauten, hatte er schon sein breit und lang Schwert gehoben, und es sauste nieder.

Die unschuldige Maid lag, Kopf und Brust gespalten, in ihrem Blute. ,Nehmt jeder sein Teil schrie der Feldherr. ,Besser ein Weib, als zween meiner besten Krieger entzweien’‘.

„So erzählen sie’s bei uns,” setzte der Müller nach einer Weile hinzu. „Wer weiß das genau! Der Knecht, von dem’s kommt, ist bald darauf an seinen Wunden verstorben. Aber der armen Gertrud geschah wohl. So sie das Mägdlein fortgeschleppt, wer wüßte heut von ihr! Müßte in den nassen Heiden die Schweine treiben zur Eichelmast, und Kinder säugen und nähren, die keinen Vater haben. In dem Heidenlande giebt’s ja keine Sakramente.”

Es waren starke Männer, die zuhörten; es rieselte ihnen aber über die Haut. Nur einen nicht, der Pilger war schwach worden. Der Stab war ihm aus der Hand gefallen, und war hingesunken über das Grab, als leblos. Sie rüttelten ihn umsonst.

Der Domherr meinte, sie dürften nun nicht länger zaudern, und vor Nachtanbruch Brandenburg zu erreichen.
Aber er las noch aus Gnaden
eine Seelenmesse für die von den Heiden geschlachtete christliche Maid, und dann empfahl er dem Müller den Pilger an, daß er für ihn sorge, falls er noch einmal erwache. So er aber des Todes verblichen, sollte er den frommen Mann christlich zur Erde schaffen, und ließ zu beiden ihm eine Gabe zurück, dazu von den anderen Reisenden jeder sein Scherflein tat. Als aber auch der Jude aus dem Ledersäckel seinen Scherf nahm, riß der Müller seinen Hut zurück, und die anderen sahen ihn verwundert und fast bös an. Der Jude schlich beiseite und ging seines Weges, wo er keinen hinderte.

Der Müller, nachdem er die Reisenden auf kürzestem Wege über die Wiese geführt, kehrte zurück, um nach dem Pilger zu sehen, ob er tot sei, oder noch Leben in ihm. Aber er war fort, samt Stab und Muschelhut; und konnte nichts mehr von ihm entdecken.

„War vielleicht”, murmelte er bei sich, „ein Bekannter aus alter Zeit, oder gar ein Anverwandter meiner seligen Schwägerin, daß ihm ihr Schicksal so das Herz brach. Will’s meiner Frau nicht wieder sagen. Nun, er ist fort, und das ist gut.

Es thut nicht gut, wenn Leute, die man tot glaubt, und man hat sie redlich beweint, wieder aus dem Grabe aufstehen, ‘s ist eine andere Welt und nicht ihre, und giebt immer Zwistigkeiten um die Erbteilung.”

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