Der falsche Woldemar
5.
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Die Gräfin und der Prälat.
Das Haus, wo der Blitz eingeschlagen, stand wohl in hellen Flammen, doch der Regen hinderte, daß der Brand weiter um sich griff. Das Feuer war bewältigt; doch der Himmel grollte den ganzen Tag und die Luft wurde nicht rein. Es zogen immer neue Wolken herauf und kaum, daß die Sonne hell geschienen und, wie sie sagen, Wasser gesogen, so ward es wieder schwarz, Gewitter entluden sich um Gewitter, und die abschüssigen Gassen fluteten von stürzenden Bächen. Dazu war’s Frühling. Die Luft drückt den Menschen nieder.
In den Häusern, den großen und kleinen, wurden die Köpfe zusammengesteckt und an ihren Mienen sah man, es galt nichts Kleines. Und wenn die Regenschauer nachgelassen, besuchten sie einer den anderen, und in den Schenken und Kellern war viel Gedränge. Der Predigt des Kapuziners verdankten’s die Wirte, daß sie ein Faß um das andere bis ans den Grund zapften.
In der Altstadt, nicht fern, wo es nach der Dominsel geht, stand ein Haus, nicht viel größer als die anderen, aber das Holzwerk war zierlicher geschnitten und bunter gestrichen. Farbige, schwere Vorhänge waren hinter den Fenstern, und Blumen, die im Lande selten sind, standen auf Brettern davor, jetzt mit tausend Perlen bedeckt, die der Regen daran gelassen. Auch der Klopfer war von blank gescheuertem Metall und über das Pförtlein wölbte sich ein Bogen von gehauenen Steinen, als wie eine Blende, darin man untertritt von der Straße, wenn es regnet, ohne daß die Pforte geöffnet wird. Auch außer anderem Zierat waren zwei Sitze von Stein zu beiden Seiten darin angebracht. In Summa: es war ein Haus, in dem kein Gewerbe betrieben ward; und desgleichen mochte es nicht zu stark bewohnt sein, vielleicht auch nicht allzeit im Jahre, denn Gras wuchs vor der Schwelle. —
Mancher Herr und Prälat von draußen hatte in der Stadt Brandenburg, die dazumal noch die vornehmste in den Marken war, sein Wohnhaus, das ihm eigen gehörte; er zog aber nur Winters hinein mit den Seinen, oder wenn Landtage ausgeschrieben, oder die Zeiten unruhig waren, daß man nach Schutz hinter dicken Mauern suchte. Nach solchem Aufenthalte eines vornehmen Herrn sah es auch im Innern aus. Zierlicher noch als prächtig waren die kleinen Zimmerlein; heimlich genug mit der niedrigen Decke und den geschnitzten Türen. Die Polster der Armsessel waren mit schwerem Zeuge überzogen und reiche Decken aus Brügge und Gent lagen über den Dielen und auf den Tischen. Dazu stand mancherlei artiges Gerät umher, wie man’s in den Bürgerhäusern nicht findet, so Kästchen mit dem allerschönsten Schnitzwerk und ausgelegt mit Elfenbein. Die Kruzifixe in den Blenden und auf dem Betpulte, das aber im Winkel etwas dunkel stand, waren sogar mit Gold und Edelsteinen ausgelegt.
In dem Eckzimmerlein, das tiefer war als breit, und die hintere Seite nach dem hinteren Hause zu war dunkel, hingen an den Wänden allerhand Schilderien. Über einem Ruhebett in der Mittelwand aber fiel jedem auf das Brustbild eines jugendlichen Ritters. Wer ihn einmal im Leben gesehen, erkannte ihn wieder. Aber dem Bilde, das Markgraf Ludwig vorstellte, war arg mitgespielt worden. So viel Schrammen hatte das Gesicht, und war’s, als ob jemand mutwillig mit nassen Fingern querüber gefahren sei. Auch, und das war gerade das Allerseltsamste, Stecknadeln steckten darin und gerade auf der Brust selbst, daß man glauben möge, als brauche es einer zum Nadelkissen.
Das schöne Weib im violetten Sammetmieder, das wir in der Kirche sahen, trat ein. Sah sie schon stattlich und vornehm aus dort unter den hohen Gewölben, wie erst hier unter der niedrigen Decke. Die Zofe nahm ihr den nassen Mantel ab und sie atmete schwer auf nach Luft, denn es war sehr heiß. Dann nestelte sie sich auch das Mieder auf und steckte das feine, weiße Brusttüchlein los. AIs die Zofe aber fortging, bohrte sie die Nadel, so die Krause gehalten, in jenes Bild und gerade da, wo das Herz ist. So schön die Frau war, in dem Augenblick wärst du vor ihr erschrocken. Ein so häßlicher Zug spielte um ihre Lippen, zu so bösem Lächeln verzog sie ihr ganzes Gesicht, und man kann sagen, so funkelten auch die Augen, die nun ganz klein wurden.
„Das trifft und wird haften,” sprach sie.
Dann warf sie sich auf das Lager, und auf ihrem vollen Arme ruhend, stützte sie das Haupt. Ja, es war ein schönes Weib, wer es da belauscht hätte. Nicht mehr in erster Jugendfrische, aber stolz und hoch gewachsen; ein Körperbau, als man ihn unter Frauen hier nur selten sieht. Da war Leben in jeder Muskel und diese Lebenskraft scheuchte die Runzeln ab, die sich hätten melden mögen. Auf der hohen Stirn spielten große und ernsthafte Gedanken, so die Augen verfolgten, die auf einen Fleck stierten; und die roten, vollen Lippen, schwellend von diesen Gedanken, arbeiteten in lautlosen Worten. Bisweilen aber zückte in dem Ernst etwas von wilder Lustigkeit, ja von Schelmerei blitzte in den Augen und sie lachte auf. Das war aber nur vorübergehend; der bittere Ernst lagerte immer wieder auf dem Gesicht, und wenn sie jetzt das Schoßhündchen zu sich herauflockte und mit ihren schönen Händen in seinen weichen Locken spielte, so stieß sie es gleich darauf gedankenlos von sich. Die Frau fand alles eher auf dem Ruhebette als Ruhe.
Es mußte immer heißer werden im Zimmer, denn sie riß immer weiter am Mieder und fächelte sich fast ungestüm mit dem Pfauenwedel an.
An die verhangene Tür in der Liefe des Zimmers klopfte es leise. Sie führte in das daran stoßende dunkle Gemach, wie man es in alten Häusern findet. Unsere Vorfahren meinten, sie brauchten zu ihren Schlafzimmern nicht Licht noch Luft, deren sie bei Tage im Freien so viel genossen, daß sie’s in der Nacht nicht dunkel und warm genug haben konnten. Vermutlich führte von diesem Schlafgemach eine Tür zu einer Hintertreppe; denn auf ihr „Herein” öffnete sich leise die Tür, und ein Besuch trat ein, der dieses Weges gewohnt sein mußte. Ein Mann in mittleren Jahren, nicht groß, aber wohlbeleibt, dessen glänzendes, wohlgefälliges Gesicht den geistlichen Herrn aus den ersten Blick verriet. Nachdem er die Tür leise wieder geschlossen, netzte er Stirn und Lippen aus dem Weihbecken in der Blende, kreuzte sich vor dem Marienbilde und murmelte den englischen Gruß. Es war alles schnell und mit leichter Anmut abgetan, als er sich eben der schönen Frau näherte; und die schien durch seinen
Eintritt weder überrascht noch aufgeregt. Vielmehr blieb sie, als sie war, und nickte ihm nur mit dem Kopfe. Er nahm auf einem Armstuhl Platz, den er ihrem Kopfende nahe rückte.
„Was Neues, Dechant?” fragte sie.
„Ein Domherr und ein Dominikaner aus Havelberg sind angekommen.”
„Pfaffen, und nichts als Pfaffen,” entgegnete die schöne Frau. „Kann man denn nichts in der Welt ohne sie ausrichten?“
Er zuckte die Achseln: „Ihr habt es gesehen, schöne Gräfin, an Kaiser Ludwig, wie schlecht ein Spiel geht, wo sie nicht helfen. Die deutschen Fürsten mögen, so viel sie wollen, erklären, als sie zu Rense taten, daß das Reich ohne Rom bestehen soll, die Geistlichkeit ist es doch, durch deren Hände alles geht.”
„Und wie viel bleibt in ihren Händen sitzen?”
Er bemerkte es nicht oder wollte es nicht bemerken: „Der Herr erhalte nur unseren frommen Kaiser Karl und schenke ihm Weisheit!” —
„Mir deucht, er ist schon klug genug, daß Ihr um anderes für ihn bitten könnt. — Was bringt der Havelberger?”
„Er hat unterwegs gehört, der hochselige Markgraf Woldemar sei wieder im Lande gesehen worden.”
„Nur keine Gespenstergeschichten mehr,” fiel die Gräfin ein. „Wir bedürfen wahrhafte, lebendige Menschen.”
„Und als solcher lebendiger Mensch, wie Ihr – verlangt, sei er zurückgekehrt aus dem gelobten Lande. Ja, die Leute sprechen wunderliche Dinge. An allen Ecken, in allen Schenken stecken sie die Köpfe zusammen.”
Sie richtete sich rasch auf: „Die Predigt war viel zu lang. Man ermüdete ja. Verwünschungen und immer wieder Verwünschungen!”
Der geistliche Herr, der mit den Händen vor sich im Schoße spielte, indem er die Daumen umeinander drehte, warf ihr einen schlauen Blick unter seinen buschigen Brauen zu: „Die Predigt war fürs Volk, nicht für vornehme Frauen, so ihre Gottesfurcht in die Kirche führte.”
„Immer doch zu gedehnt, immer kam dasselbe wieder.”
„Den gemeinen Leuten kann man dasselbe nicht oft genug sagen, bis sie glauben. Es schlug ein.”
„Weil ein Gewitter kam.”
„Nehmen wir denn das als ein sichtliches Zeichen des Himmels, daß es unter Donner und Blitz mit dem Regiment des Ketzers zu Ende geht. Wer verdiente auch mehr solche offenbare
Strafgerichte des Himmels, daß die eigene Hand ihm treulos wird, und die eigene Lippe wider ihn zeugt, als der so leichtsinnig Schwüre brach, und so süße Schwüre, die selbst ein unvernünftiger Heide hallen mühte.”
Das war sehr salbungsvoll und süß gesprochen. Als er aber die Hand der Gräfin fassen wollte, um sie an die Lippen zu führen, schlug sie ihm mit dem Pfauenwedel auf den Kopf.
„Ernst, hochwürdiger Herr! Was soll’s? Was giebt’s? Was führt Euch her? Zum Scherzen ist nicht mehr Zeit, ich hab’s Euch gesagt. Nicht mehr Reden, Ahnungen, Flüche, Prophezeiungen: Heere will ich sehen, Männer. O wie die Männer langsam sind, in deren Blut keine Liebe und keine Rache glüht!”
„Schöne Frauen vermögen viel,” entgegnete er. „Aber wenn Ihr mit Euren: kleinen Fuße auch noch so auf die Erde stampfet, geharnischte Ritter wachsen nicht auf. Um süßen Minnesold diente mancher in der guten Zeit, heutzutage aber wollen sie Beule, Gold, Land und Güter vor sich sehen. Die muß man ihnen deutlich zeigen, urkundlich verschreiben, mit Grenzen, Renten und allem, was sie tragen. Sie müssen nachrechnen, ob sich eine Rüstung darum lohnt. Nur auf die Art bringt man Heere im Deutschen Reiche zusammen. Das will Zeit und Weile, geschickte Unterhändler, vertraute Boten. Selber muß man rechnen, ob der Zweck die Mittel lohnt.”
Sie blickte ihm scharf ins Gesicht: „Ist Eure Rechnung noch nicht fertig?’.’
„Sie ist’s, so hoffe ich mit Gott,” entgegnete er und zwang die lächelnde Miene wieder zum Ernst.
„Was hat Gott damit zu tun!” rief sie, sich aufrichtend und mit einer zürnenden Stimme; aus der war das Spiel des Scherzes fort. „Habt Ihr dem auch sein Teil ausgerechnet, was auf ihn fällt?”
Der Dechant blickte inbrünstig in die Höhe. „Seine Kirchen und Altäre werden wieder aufgerichtet, christliche Zucht und Ordnung sollen heimkehren, die Priester werden wieder zu ihren Rechten und Gebühren kommen.”
„Daran, mein Freund, halte! Euch,” unterbrach sie ihn. „Aber Gott laßt aus unserem Spiele: wir haben Verbündete genug. Und wäre noch für einen Platz, bei Ihm! es wäre ein ganz anderer!”
„Des Herren Wege sind wunderbar!” wollte der Geistliche fortfahren, aber sie ließ ihn nicht zu Worte kommen.
„Wahrhaftig, sie sind’s. Daß so viele Herzöge, Grafen, Bischöfe, die der Teufel selbst für ehrlich hält, ihn um seine gute Meinung betrügen.”
„Man muß unterscheiden”, sagte er. „Was zu einem gottseligen Zwecke unternommen wird —”
Sie lachte hell auf. „Den gottseligen Zweck, Bruno, behaltet ganz für Euch. Ich will nichts davon haben. Laßt Euch ein Hintertürchen für die Beichte. Ich will nicht mit durchschlüpfen. Aber mir ist so schwer und angst zu Mute. Die Luft drückt mich, als wäre der ganze Himmel eine Säule, die auf meinem Herzen lastet. Ich möchte die Brust selber mir aufreißen nach Frische. Nach einem Schlachtfelde verlangt mich, nach einer hellen, offenen Schlacht. Wäre ich jetzt ein Mann!”
„Dem Himmel Dank, daß die schöne Mathilde das wenigstens nicht war. Uns fehlte sonst unser kühnster Bundesgenoß.”
„Pfaff!” rief sie, und ihre Augen funkelten unheimlich. „Doch, was ist’s! ich war ein Weib und bin’s, ein verletzt, zerrissen, racheglühend Weib. Aber ich will — Genug davon, ich bin Euch verschrieben, Ihr seid es mir. Wir wollen dasselbe.”
„Und das Werk wird gelingen,” sagte der Dechant mit Nachdruck.
„Wird es?”
„Ein Weib ersann den Plan.”
„Tat ich’s! — ich rühme mich nicht des Einfalls. Er ist so grob, plump.”
Der Dechant, der seine Ruhe behalten, sah ihr mit zuversichtlichem Lächeln ins Gesicht: „Wo sie eine Komödie vorstellen, müssen die Aktores die Sprache reden, welche die Leute verstehen, vor denen sie spielen; item das ihnen vorführen, was ihnen lieb ist. Gräfin, wer das den Leuten zeigt, und wärs das Allerunglaublichste, man glaubt ihm.”
„Kann das einer glauben?”
„Einer nicht, aber viele. Wenn der eine hört, daß viele es glauben, glaubt er auch.”
„Aber man hätte es feiner anlegen sollen.”
„Mit nichten. Was das Volk glauben soll, kann nicht grob genug sein. Was überrascht muß man nicht feilen und putzen. Was wirkt mehr, ein Gewitter am Abend, nachdem der ganze Tag schwül war, oder wenn das Wetter plötzlich, man weiß nicht woher, kommt, und der Blitz schlägt aus heiterem Himmel nieder? Luft und Boden sind uns günstig. Das Volk wünscht, sehnt sich, daß die Toten auferstehen. Es wäre grausam gegen das gute Volk, ließe man sie im Grabe. Glaubt mir, sie werden glauben; der Glaube wird wachsen, wie der Schneeball in den Bergen, der reißt, einmal ins Rollen gebracht, Häuser und Weiler mit sich. Es ist kein Widerstehen mehr, und die Sache macht sich von selbst.”
Die schöne Frau hatte ihn ruhig ausreden lassen. Dann traf ihn einer ihrer feinen, stechenden Blicke, vor dem der feine Mann die Augen niederschlug:
„Das für die anderen. Was nun für mich?”
„Ihr wißt alles.”
„Was Ihr mir nicht verschweigen könnt; kein Wörtlein mehr. Mir ist’s als kenne ich dich, seit Methusalem geboren ward. Was mir! Was soll ich? Diese Falte über den Augen bedeutet, du weißt etwas, was ich nicht wissen soll, oder du willst etwas, was ich nicht wollen darf. Zum Predigen kamst du nicht. Wollt Ihr es aufgeben? Wird nichts daraus? Heraus damit!”
„Daß Gott verhüte! Es ist nichts von Wichtigkeit. Der Bruder Anselm —”
„Was geht mich der Mönch an?” sagte die Gräfin. „Gebt ihm Geld und laßt ihn laufen.”
„Er ist so mager und schwach auf den Füßen, vom Fasten, Brüten und Studieren. Er käme nicht eine Viertelmeile über das Weichbild.”
„So laßt ihn sitzen, wo er ist.”
„Das denke ich auch.”
„Genug, ich will von dem Mönche nichts mehr wissen. Das ist Eure Kreatur. Er predigte wie ein Rasender, nicht wie ein Mensch.”
„Er hat so gepredigt,” fuhr der Dechant fort, „daß Bürgermeister und Ratmannen beschlossen haben, sie wollen ihn fahen und verstricken lassen.”
„Nichts weiter?”
„Er hat zum Hochverrat gegen den Landesherrn aufgereizt. Mit diesen Bürgerherren ist nicht zu scherzen. Die Büttel laufen schon durch die Gassen, und aus den Toren kommt er nicht mehr.”
„Mögen sie ihn fangen, sie dürfen ihn doch nicht richten.”
„Er hat freilich die Tonsur.”
„Sie bringen ihn vor euren Bischof, klagen, das Kapitel untersucht, und ihr sprecht ihn frei.”
„Meine Brüder, die Domherren, lieben nicht gerade die vagierenden Mönche. Es sind Wildschützen, die auf ihrem Reviere jagen, und wir lieben Wildbret selbst.”
„Meinethalben richtet ihn. Desto besser, so wird er ein Märtyrer.”
„Und wir Heiligenverfolger! — Im Ernst gesprochen, Gräfin, wir durften nicht ins Spiel. Aber versteckt mußte der Mensch werden. Es war durchaus nötig. Er kann sehr gut sprechen, aber sehr schlecht schweigen. Im Rausch der Raserei könnte er
alles« ausplaudern. Es war die höchste Gefahr. Und daß ich’s sage, darum bin ich hier. Ich wies ihm in Eurem Hause einen Schlupfwinkel.”
Ein roler, heller Zornstreifen flog über ihre Stirn: „Bei der Jungfrau, das ist frech! Wer gab Euch die Erlaubnis? Bei mir, der Schwester der Grafen von Ruppin, sollen sie ihn finden, in meinem Hause! Nimmermehr. Ich will frei bleiben aus Eurem Spiel, frei, ganz frei. Handeln will ich, wann die Zeit kommt, die kleinen Künste überlasse ich den Pfaffen.”
„Und auch das große Opfer!” murmelte der Dechant, während sie unruhig im Zimmer auf und ab ging, Worte und Blicke des Zornes schleudernd. Er stand ruhig, die Augen zu Boden gesenkt. Ein Gewitter muß man austoben lassen; aber das Lächeln um seine Mundwinkel verriet, daß er schon den klaren Himmel sah.
„Gerade, weil die Grafen von Ruppin, in ihrem traurigen Irrwahn, halsstarrig an dem ketzerischen Bayern halten, wird man am wenigsten im Hause ihrer erlauchten Schwester, der Gräfin von Nordheim, nach dem Kapuziner suchen. Und suchte man, man wird ihn nicht finden. Der Hausmeister hat ihn in das Kämmerlein über dem —”
„Er ist ein Toller! Er bricht los, verrät mich, sich.”
„Wenn man in einen Speicher mit Flachs Feuer tut, kann man freilich nicht bestimmen, wie weit es brennen soll, und dem Feuer zurufen: Nun höre auf, Flamme, lege dich nieder! Dann aber greift man nach Wassereimern. Verzeiht, Gräfin Mathilde, daß ich diesmal, statt Wassers, zu Euren Weinfässern griff. Denen allein wird er gefährlich, nicht Euch, nicht uns. Ich ließ ihn einsperren mit zwei Henkelkrügen voll feurigem Ungar. Nun denkt Euch einen durstenden Mönch, der sich die Lunge ausgeschrien und die Seele abgefastet, in vier Wänden eingesperrt mit zwei Krügen süßen Weines! Das sind so starke Gesellschafter, daß sie ihn mit ihren Armen umfassen werden, bis der letzte Laut auf seiner Zunge stirbt. Euer Keller ist voll, und wir mögen ihn in dem Zustand erhalten, bis eine Gelegenheit sich findet, ihn aus der Stadt zu schaffen. Erwägt in christlicher Milde, daß der arme Mönch die Labung wohl verdient hat.”
Der schönen Frau Gedanken waren schon bei einem anderen Gegenstande. Nur ein Lächeln, das schon verflog, schwebte über ihren Lippen, als sie sich wieder auf das Ruhebett niederließ. Sie hatte genug vom Kapuziner gehört. Ihr stummer Wink drückte aus, daß sie ihm die Ruhe und ihren Wein gönnte.
„Aber wo ist er?” sprach sie.
Der Domherr zuckte die Achseln.
„Bruno! Dreht Eure ganze Kunst sich um elende Werkzeuge, und das wichtigste vergeßt Ihr?”
„Das wichtigste, als ich denke, ist der Kaiser. Und Ihr wißt, daß der Kaiser —”
„Zuverlässige Freunde haben muß, die keinen Betrüger ihn: empfehlen.”
Der Dechant lächelte, sie errötete.
„Einen zuverlässigen Menschen, meine ich. Dessen Tüchtigkeit, Geschicklichkeit bewährt ist. Warum führt Ihr den armseligen Prediger, warum nicht ihn in mein Haus?”
Der Geistliche zuckte abermals die Achseln.
„Wo ist er?”
„Ein wunderbarer Mann,” sagte jener nachdenklich, „heut willig, aufmerksam, er geht auf alles ein, läßt sich unterrichten und ist unterrichtet, mehr als wir’s erwarten konnten. Was wir ihm weisen, er weiß es, was wir ihm vorsprachen, er spricht es nach, als käme es von ihm. Und morgen, als hätte die Nacht verwischt, als wär s ein Traum gewesen, den er von neuem träumen muß. Er stiert uns an, daß wir verlegen sind, er lächelt, daß wir an ihm irre werden. Und plötzlich richtet er sich auf und schaut uns wie ein König an, fragt, ob es unser Ernst sei? Und beteuern wir’s bei allen Heiligen, so erkundigt er sich wie ein Krämer nach den Einnahmen von jedem Schoß und Zoll, was versetzt war, was verloren Ding, und was wieder zu gewinnen wäre: als rechne er zusammen, ob das Markgraftum wert sei, darum Markgraf zu werden!”
„Jakob Rehbock nanntet Ihr ihn.”
„Namen sind Wind.”
„Und neulich verschwand er Euch?”
„Ließ uns zurück, er müsse zuvor das Land durchziehen und es kennen lernen.”
„Das Land! Was kümmert ihn das Land!” rief die Gräfin.
„Sein Land und Volk,” sagte er.
„Was geht ihn das Volk an!” rief die Gräfin sichtlich aufgeregt. „Er soll erscheinen, Hof halten, schmausen, zechen. Er wird reden, was man ihm sagt, tun, was man ihn heißt. Für Land und Volk werden andere sorgen.”
„Daran wird es nicht fehlen.”
„Seid Ihr des Mannes gewiß?”
„Bisweilen will mich die Furcht überschleichen, daß der Müller —”
„Uns betrogen hat, Bruno. Wäre Eure Schlauheit an einen Verräter geraten! Ich hoffe, Ihr wäret vorsichtig, Ihr nanntet ihn doch keinen edlen Namen?”
„Sankt Peter und Paul, Mathilde!” rief der Dechant. Wenn man einem Kerl, der nach Trebern suchen müßte, wie das unreine Vieh, einen Fürstenhut bietet! Wer soll ihm denn mehr bieten!“
„Ich muß ihn sehen.”
„Ihr würdet einen Narren sehen.”
„Desto besser, wenn er das Geschick hat, einen klugen Mann zu spielen.”
„Urteilt, ob Euch die Narrheit gefällt. In seinem Pilgermantel zieht er im Havellande, im Barnim drüben und in der Zauche um. Er kniet vor allen wundertätigen Bildern und betet vor allen Ruinen. Als wäre ihm bange vor dem Wagstück. Ein Narr! Was kann solch ein Mensch, der nichts hat, verlieren!”
„Das früge sich dennoch,” sagte die Gräfin mit einem boshaften Lächeln. „Die Rolle, die er übernimmt, kann sehr kurz sein, wenn’s geht, wie wir hoffen. Weißt du, weiß ich, was dann mit ihm?”
„Man gibt ihm,” lächelte der Dechant, „auch von Eurem Ungarwein und läßt ihn Vergessenheit sich trinken, wie den Bruder Anselm.”
„Vielleicht auch einen anderen Trank,” murmelte sie. „Geht, hochwürdiger Herr, und seht, daß der gute Frater nicht erstickt. Wer weiß, ob wir seine Stimme nicht noch einmal brauchen.”
Sie beugte sich leicht und führte das Gewand des Beichtigers an ihre Lippen. Der Domherr legte ebenso leicht seine Hand zum Segen auf ihren Scheitel und ging.
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