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“Der falsche Woldemar” von Willibald Alexis – 1842 – Kapitel 8

by de olde Grotmüdders

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Der falsche Woldemar
8.

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Das Gericht der Freien.

Als des Kuckucks Stimme verhallte, riefen ihn andere Stimmen. Sie mußten gar hold und lieblich tönen, denn als die Morgensonne auf sein Gesicht fiel, hatte sie kaum ein fröhlicheres geschaut. Und was hatten die Elfen für Tänze um ihn geführt und ihn in die alte gute Zeit entrückt, daß er den Arm hob und aufschrie, als ging’s in die Schlacht. Das weckte den Kumpan und der lachte und legte sich wieder zur Ruhe. Denn gute Träume muß man nicht stören.

Nun aber gellte es ihm ins Ohr. Das war nicht Elfenmusika. Es war ein langausholender Ton, ein Hornstoß, wie die Trompete versprengte Reiter aus dem Gefecht zurückruft, und das Hifthorn die Jäger lockt zum Sammelplatz. Und als er die Augen aufschlug, tönte er noch fort, itzo wie wenn der Hirt die Morgensonne anbläst und die Herden ruft. Er strich die Augen, schüttelte sich und sprang auf. Von hinter dem Baume kam es, und er sprang herum, aber da war nichts zu sehen, und es tönte nun wieder von der Seite, wo er herkam; und als er da war, wieder von der anderen, bis ihn ein kräftiger Schlag des anderen Gesellen auf die Schulter traf.
„Guten Morgen!” lachte er.
„Bist du’s also wirklich?” sprach Heinrich.
„Du hast gut geschlafen und noch besser geträumt.”
„Also im Walde bin ich doch, das ist wahr!” sagte jener nachsinnend. „Ich meinte erst, das sei auch Traum, und ich erwachte wieder unter der Schmiede. Wir trafen uns gestern —”
„Und wollten uns schlagen, dann speisten wir das Reh auf, davon du die Knochen noch dort siehst, plauderten und sangen und schliefen ein. Nun ist die Frag’, womit wir heut anfangen? Willst du mit mir fechten, hier ist mein Spieß und dort dein Eisenstock.”
„Um was fechten!”
„Ei, wem der Wald gehört.”
„Der ist ja groß, und dir kann er gehören und mir auch.”
Mit froher Miene blickte ihm der andere eine Weile ins Gesicht: „Gesell, das mein ich auch. Der Wald hat Quartier für viel gute Leute, so die Freiheit lieben. — Und liebst du sie denn von ganzem. Herzen?” setzte er, gar eindringlich auf den Schmied schauend, hinzu.
„Das will ich meinen.”
„So wie ich es meine? — So ich dir recht wahrhaft trauen soll, mußt du mir auch wahrhaft antworten, was dich hertreibt.”
„Weil’s mir draußen nicht mehr gefällt. Und ‘s ist ein lustig Leben.”
„Kann auch recht ernsthaft werden. Jagen ist lustig Ding; aber für den Jäger zumeist. Der Has’ hat’s noch keinem vertraut, ob’s ihm Spaß macht. Spielen bisweilen auch Hasen und Hirsche, und sie Hetzen uns, weil sie uns die Freiheit nicht gönnen. Und mit einem Strick von Hanf ziehen sie ‘ne Schlinge und werfen sie nach unserem Hals. Wird dir das auch gefallen?”
„Ei Sankt Christophel! wer sich die läßt um den Hals tun! So weit ist’s noch nicht zum Abend. Schau, der Arm hier, der den Amboß schlug, auf dich wollt’ ich ihn nicht probieren, wie hart er wurde; laß sie kommen. — Und dann,” setzte er hinzu, „zum schlimmsten, sterben muß zuletzt jede Kreatur. Und Blaues über uns, und Grünes unter uns, da, mein’ ich, stirbt sich’s besser als auf faulem Stroh.”
„Aber weißt du, was sie in den Städten sprechen, und wie die Pfaffen von der Kanzel herab auf uns fluchen.”
„Das ist mir grad’ recht, daß ich das nit höre und das Geschrei der Krämer und den Hochmut und die Hoffart, o ihr lieben heiligen Fürbitter, und die Gerechtigkeit, die vor den Armen nimmer zu Haus ist, und wer sie kauft, der hat sie. Ich will sie nicht kaufen und darum bin ich im Wald.”
„Willst sie dir selbst schaffen?”
„Ei, das ist’s.”
„Dazu aber braucht’s Freunde, die dir helfen. Der stärkste Mann allein ist schwach.”
„Nun, die werd’ ich doch finden!”
„Gewiß. Nur mußt du ihnen helfen.”
„Das versteht sich.”
„Nun möcht’ es aber sein, daß ihre Gerechtigkeit dir nicht gefällt, oder deine gefällt ihnen nicht. Es sind gar wunderbare Gesellen hier beinander. Einer meint, weil sie ihm eine Kuh, die sein war, nahmen, er könne die ganze Herde wiedernehmen. Oder, weil sie ihm seine kleine Hütte ansteckten, daß er eine ganze Stadt verbrennen dürfe. Da fahren die Köpfe wohl heiß aneinander.”
„Nun, du lieber Himmel!” fuhr der Gesell auf, „wo soll denn Gerechtigkeit sein, so sie nicht bei den Freien ist, wo kein Pfaff mitspricht und Richter, und jedweder sein frei Wort redet, als ihm der Schnabel gewachsen ist. -— Und so ich’s noch nicht wüßte, wie es hier aussieht, und ob sich’s für einen ordentlichen Kerl schickt, zu gehen zu den Freien, nun find’ ich dich ja hier. Und als du hier bist, und meinst, es sei recht getan, so will auch ich es wagen, und wenn sie mich nehmen wollen, so bleib’ ich, und will den Handschlag dem Hauptmann geben, wie du ihn gabst, und dem Hauptmann gehorchen; und als lange du bei ihnen aushältst, so lange halte ich auch aus/”
Die Rede gefiel dem anderen. Er reichte ihm die Hand:
„Wohlan, Kumpan! Deine Rede gefällt mir. Schlag ein, auf gute Kumpanei. Die tut allerwegen not, wo es Schurken gibt, und gute Leute zusammenstehen. Ich will dich nicht verlassen.”
„Das will ich dich auch nicht,” sagte der Gesell und schlug kräftig ein.

Da tranken sie sich auch zu und schauten sich lange freudig ins Antlitz und nannten ihre Namen. Der im grünen Wams sagte, er heiße Woldemar, worüber sich der andere zu verwundern schien.
„Auf Namen, Heinrich, kommt es bei uns nicht an”, sagte er. „Wir geben uns Namen, als sie uns gefallen; und mancher ist froh, wenn er seinen alten vergessen kann, und die anderen ihn vergessen. Aber wir denken desto mehr der alten Zeit, der alten guten. Und was an uns, wir tun, daß sie wieder kommt. Der Wald ist heut so grün wie damals, und die Sonne scheint eben so hell, was soll unser Sinn nicht auch so hell sein! Und ich weiß, was noch heller blinkt. Das ist der Frauen Aug’. Und das lacht heut so schön, als vom Anbeginn —”
Er sah, wie Heinrichs Antlitz sich verfärbte, und es ward blutrot, und dann schlug er sehr verlegen die Augen nieder.
„Ist’s das, was dich plagt?” lachte er auf. „Hatt’s ein blau Aug’ dir angetan, und darum liefst du in den grünen Wald? Ei sieh, grün ist die Farbe der Hoffnung. Es blitzt und flimmert alles grün um dich, und du bist jung und frisch. Unverzagt! heißt unser Losewort. Schau auf und habe Mut. Nichts ist zu hoch und fern für einen Rittersinn.”
„Bin kein Ritter,” seufzte Heinrich.
„Deine Hand,” rief Woldemar, „sieh, nun schlage ich dich dazu. Ich bin einer, und wo ein Ritter einen anderen schlägt, so geht es über, als wie Priesterweihe, so es nur untadelig Blut ist.”
„Ich bin zu niedrig geboren.”
„So sollst du hoch denken und adelig tun. Im Walde sind wir alle gleich, und wer weiß, was aus dem Walde hervorgeht. Menschen, Reich und Kaiser haben dies Land verlassen, und sein eigener Fürst auch. Wer weiß, was für ein Fürst aus den Wäldern kommt!”
Da ward ihr Gespräch durch einen fernen Hornton unterbrochen, ans den Woldemar eifrig horchte.
„Das ist das Zeichen zur Versammlung,” sprach er. „Ich muß dahin, und du kannst mich geleiten, daß ich dich der Genossen­schaft vorstelle. Ich will für dich gut sagen, wenn das not täte; aber einen Burschen wie du nimmt man auch ohne viel zu fragen. Möglich, daß du gar bald dein Probestück ablegen magst, denn es sind ernsthafte Dinge vor. Die Freien haben einen drüben am Glien gestraft und seinen Hof niedergebrannt, weil er zwei von den Genossen den Spandowern verriet, die sie fingen. Nun aber trifft sich’s, daß der Mann ein Dienstmann der Ruppiner Grafen ist, und die wollen uns darum ans Zeug.
Als ich hörte, ist einer unserer Obersten fast in ihre Hände gefallen, und entkam mit Mühe und Not. Da wird nun wohl ein großer Zug gegen die Grafen losgehen, und das ist gut, wenn helle Waffen gegeneinander klingen. Da magst du zeigen, was du wert bist.”
So machten sie sich auf den Weg. Ihnen begegneten viele im Walde, von rechts und links kamen sie, so junge als alte, und schauten sie bald finster, bald freundlich an. Der im grünen Wams grüßte sie wieder, und es war vornehme Art darin, wie er grüßte. Die einen nahmen das gut auf, als wäre er mehr als sie; die anderen sahen scheel und erwiderten’s kaum. „Es gibt Unterschiedliche hier”, flüsterte Woldemar dem Schmied zu. „Viele sind ehrliche, muntere Bursche, andere taugen auch im Walde nichts, und man muß sich vor ihnen hüten. Darum freut’s mich, so ein frisches Blut zu mir kommt.”
Durch hohe, dichte Kiefern, die noch nicht ihr frisches Lenzkleid angelegt, kamen sie an die Stelle, wo die Freien versammelt waren. Es war ein Bergabfall, und die Sand- und Lehmwände, spärlich mit Ginster und Brombeeren bewachsen, waren nicht freundlich anzuschauen. Das Nadelholz ragte von oben als eine dichte Wand herab und machte den Ort finster. Hinwiederum war er hell von dem Sande, gegen den die Gesellen dunkel abstachen. Auf einem großen Steine, der vor alters beim Bergsturz zu Tage gekommen, und er war schon wieder verwittert und mit Blättermoos überzogen, saß der, der Anführer sein mußte, denn die anderen standen um ihn, nicht gerade ehrerbietig, aber doch so, als Niedrige um einen Höheren stehen. Es war ein alter Mann und hüstelte. Nur bisweilen schielte er auf die Männer. Er war nicht als ein Löwe, vielmehr als ein Tiger, der im Busch liegt. Er trug sich seltsam. Ein Mantel von Ziegenfellen schlug um sein grobes Wams, und eine Keule mit Stacheln hielt er in der Hand. Rote, struppige Flechten hingen ihm ums Gesicht, daß man’s nur halb sehen mochte. Es war augenfällig, daß es nicht sein eigen Haar war, als wie solche tun, deren Geschäft in der Nacht ist, und wenn sie sich bei Tage zeigen, verkappen sie sich, daß man sich in ihnen irre und sie nicht wiedererkenne. Je schrecklicher es aussieht, desto besser. Und wahrhaftig, es sah aus, als sitze einer, der aus der Finsternis kommt, auf seinem Thron, um Gericht zu halten über die Übeltäter. Über seinem Haupte spielten die Wurzeln der Kiefern, die in knorrigen Fäden oben vom abgebrochenen Waldrands herabhingen, und sich in der Luft schaukelten, als wären’s böse Geister, die über ihm Wache hielten.
Da Woldemar ihn sah, sprach er leis zu Heinrich: „O weh, das ist der Teufel selber. Den gewärtigte ich nicht hier. Es hat bessere Hauptleute als er. Und dein Probestück wird schwer sein. Aber bleibe du mutig. Man muß ihm dreist ins Aug’ schauen und keck antworten.”
„Wer ist der Gesell, den du mitbringst?” rief der Obrist, als Heinrich an Woldemars Hand aus den Kiefern vortrat. Sie meinten, er könne sie kaum bemerkt haben. Sein Kopf war abgewandt; so schielten seine Augen nach der Seite.
„Obrist, ein Freund,” sprach Woldemar.
„Er gehört nicht zu den Freien. Welcher Unfreie über unseren Bann tritt, ist des Todes, als du weißt.”
„Aber er will ein Freier werden, darum führ’ ich ihn in den Bann sonder Anfrage, auf die Gefahr hin, daß Ihr ihn nicht frei machen wollt, und er muß sterben. Daran Ihr seht, was Herz in dem Burschen schlägt, als wir’s brauchen.”
Da schauten alle auf Heinrich, und wie beherzt er auch war, es rieselte ihm doch ein wenig über die Haut. Es waren schreckliche Gesichter. Aber er nahm sich zusammen und schaute sie wieder ebenso frech an. Das gefiel ihnen. Der Obrist saß, als sähe er es nicht.
Darauf traten die Hauptleute zusammen und besprachen sich heimlich. Und nun führten zween den Heinrich abseits in den Wald und setzten ihm eine Kappe auf, daß er nichts sehe und höre, was sie über ihn ratschlagten und sein Freund für ihn vorbrachte. Das dauerte nur eine kurze Weile, da ward er wieder zurückgeführt und sie nahmen ihm, die Kappe ab. An dem Gesicht feines Freundes sah er’s gleich, was sie beschlossen, und daß es Gutes war.
Der Obrist richtete noch etliche Fragen an ihn, was er gelernt und verstehe, und was Freundschaft er draußen habe, und ob er die lassen wolle um der Freundschaft willen der freien Leute? Auf das alles antwortete Heinrich kurz und deutlich, und was er sagte, gefiel allen, und sie nickten. Da sprach der Anführer: „Nun wohlan, so sollst du als ein freier Mann aufgenommen werden unter den Freien. Und zerrissen seien alle die Bande, so dich halten an die draußen, und hier sind fortan deine Blutsfreunde und deine Sippschaft. Du hast nicht Schwester und Bruder, nicht Vater und Mutter mehr draußen, die sind hier; und bist kein Bankert mehr, denn jeder ist dein Bruder. So du einen schiltst, so schiltst du alle, und so dich einer schilt, so sind alle gescholten, und wehe dem, der sich gegen die Brüderschaft vergeht.”
Wie mußte der Freund für ihn gesprochen haben, daß sie’s so leicht mit ihm machten! Was aber in dem Kreise vorging, den die Hauptleute dicht um ihn schlossen, und die anderen kehrten den Rücken, und er mußte geloben Treue und Verschwiegenheit, ich weiß nicht worauf, und sie gaben ihm die Zeichen und den Schlag’, davon erfährt keiner was, und keiner hats ausgeplaudert. Auch hat’s keine Chronik aufbewahrt. Einige meinen, der aufgenommen wurde, mußte die Hand zwischen die grinsenden Zähne eines Totenkopfes legen; andere gar, sie hätten ihm Menschenblut aus einem Fläschlein zu trinken gereicht; also solle der nächste trinken von seinem Blute, wenn er sie verriete. Nur das hat Heinrich wiedererzählt. Als er sagen sollte, auf wie lange er zur Genossenschaft schwören wolle, antwortete er, als lange sein Freund geschworen und dazu halte.
Das dünkte einigen nicht recht, aber der Obrist hieß es gut, denn ihm ging anderes im Kopf um, was wichtiger war, und es durfte nicht Zeit verloren gehen. Und war wohl der Hauptgrund, daß sie’s so schnell abmachten, der, daß Heinrich ein Gesell war, als ihn jede Bande gern nimmt, und dazu ein Schmied, der ihnen Waffen fertigen konnte.
„Aber sein Meisterstück, was ist’s?” sprachen etliche.
Der Obrist winkte ihnen Ruhe. Es werde die Gelegenheit schon kommen, da es der Proben viel gebe, zu zeigen, daß einer wert sei, ein Freier zu heißen. Und eben desgleichen schüttelte er den Kopf, als sie von dem Gelag sprachen, das der neu Aufgenommene den Brüdern geben müsse.
„Es ist nicht Zeit zu Gelagen, es ist Zeit zur Rache!” sprach er im Zorn. „Und darum rief ich euch, und nun hört!”
Die meisten wußten es schon; aber er trug’s ihnen vor, was es galt. Von den Spandowern, die zween Freie gefangen und gerichtet, wofür die Strafe sie treffen solle, doch das habe noch Weile. Dann von der Strafe, so sie über den Mann verhängt, der die zween den Spandowern verriet. Und dann sagte er, wie die Ruppiner Grafen es auf sich genommen und darüber getobt. Aber darauf winkte er einem anderen, daß der vortrüge, was sich ferner ereignet; denn es betraf ihn, den Obrist selbst, und er hielt es für schicklich, daß er es nicht selbst den Genossen vortrage, sondern ein anderer für ihn spreche.
Der sprach: Alsbald die Hauptleute erfuhren, daß der gestrafte Mann ein Lehnsmann sei der Ruppiner Grafen, die es übel vermerkt, hätten sie beschlossen, es gütlich auszugleichen mit ihnen, als wozu sie nach dem Vertrage mit den Grafen gebunden seien. Denn, als alle wüßten, hätten sie sich neulich am Tage Allerseligen auf dem Felde an den Rauhensteinen gegenseitig gelobt mit Handschlag, daß keiner den anderen schädigen solle auf drei Jahre, bis wieder Allerseligentag. Darum sei der Obrist selber geritten auf den Weg nach Lindau, wo der Ruppiner Schloß ist am See, um ihnen Blutgeld zu bieten, und habe es mitgebracht. An der Birkenschenke sei der Obrist verblieben und habe einen Bruder, der heißt Ruprecht, vorausgeschickt ins Schloß, um den Grafen zu vermelden, daß er komme und weshalb, und um frei Geleit gebeten. Aber, nachdem er zwei Stunden vergebens gewartet, sei der andere Bruder, der draußen Wache stand, Wilkin, atemlos hereingestürzt und habe gerufen: Sie kommen! Und kaum, daß der Obrist sein Roß, das im Hofe stand, von dem Pfahl losbinden und sich drauf hat schwingen können, so seien sie zu fünfzigen aus dem Weidengange am See losgesprengt, da habe er nicht mehr Zeit gehabt, zum Tor hinauszureiten, sondern mußte durch die Gärten über die Hecken setzen. Wilkin kam ihm nach, aber er war noch sechzig Schritt hinter ihm, und sein Pferd blieb im Moor stecken, als die Reiter ihn erreichten und mit wildem Geschrei ihn niedermachten. Der Obrist mußte es mit ansehen, denn so er auch umkehren wollte und ihm beispringen, einer gegen fünfzig, er konnte es nicht wegen des Sumpfes, und bis er da war, hätten sie ihn doch auch tot gemacht. Also gab er seinem Roß, da er festen Boden unter sich hatte, die Sporen und ward von den Reitern vier Meilen und darüber verfolgt. Er hatte müssen den Geldsäckel, den er um den Leib trug, fortwerfen, daß er leichter wurde, und war nur mit großer Fährlichkeit und Not seinen Feinden entwischt.
Heinrich, dem kein Wort entgangen, wußte nun wohl, wer der Reiter war, der fast atemlos gestern ins Dorf kam, und glaubte ihn wiederzuerkennen, ob er schon ganz anders aussah, was Tracht, Bart und Haar war. Er hatte sein Pferd gestern gut gestriegelt, und nun war’s ihm klar, warum der Obrist es so leicht mit ihm genommen.
Der Sprecher, nachdem er eine Weile Atem geschöpft, sagte nun: „Also, ihr Brüder, ist uns geschehen; erstens sind wir geschmäht, da wir in guter Sitte Lösung und Blutgeld brachten; unsere Botschaft ist verraten; sie haben einen Bruder gefangen und werden ihn richten, einen anderen haben sie niedergemacht als Bluthunde im Moor, unser Geld, das wir ihnen sandten um Frieden, haben sie genommen ohne Frieden und unseren Hauptmann gehetzt, geschädigt und gescholten. Damit ist der Bund zwischen ihnen und uns gebrochen und die Genossenschaft gekränkt. Was soll’s, Brüder?”
Man hatte schon das dumpfe Murren gehört; nun aber wie aus einem Munde klang es: „Rache, Rache an den Ruppinern.”

„So sei es!” rief der Obrist und ließ seine Keule gegen den Stein fallen. „Hat einer was dawider?”
Da trat Woldemar einen Schritt vor und sprach: „Das sei ferne von mir, daß ich lobe, noch gut hieße, was die taten. Die Übertreter müssen gestraft werden. Aber wissen wir, ob es die Grafen selber geheißen? Denn sie haben trotzige Dienstleute. Und als unser Bund mit ihnen ist, schickt sich’s, daß wir erst zu ihnen senden und sie fragen, ob sie’s auf sich nehmen oder uns Blutgeld geben wollen.”
Die Rede gefiel keinem.
„Daß sie unsere Abgesandten wieder fangen und totschlagen!” sagte einer.
Ein anderer sprach: „Wer schädigt, der muß Gesandte schicken, nicht der geschädigt ist. An dem ist’s, ob er die Boten zuläßt oder fortschickt.”
Der Obrist sprach: „Ich sah den Grafen Ulrich unter den Verfolgern: Mit feiner eigenen Hand tat er dem Wilkin den zweiten Schlag.”
Damit war es abgemacht, alle, eine Stimme, brüllten: „Blut und Rache!” Die Hauptleute traten zusammen und besprachen es unter sich, denn das war an ihnen auszumachen, nicht an der Gemeinheit, wie eine Tat, so die Gemeinheit beschloß, sollte ausgeführt werden. Und darauf tat einer es allen kund.
Die zween Grafen, als man wußte, sollten heut ihre Schwester, die Gräfin Mathilde, heimsuchen. Sie wollten nur mit wenigem Gefolge reiten, und der Weg war ausgekundschaftet, den sie nehmen würden. Dort sollte eine gute Schar im Busche den Tag über sich verstecken und gegen Abend, wo sie vorkämen, über sie fallen und die Rache der Freien an ihnen nehmen.
„So sei es!” riefen alle. Nur Woldemar sprach dagegen:
„Ihr freien Männer und Brüder, die wir manche gute Tat miteinander getan, und wir haben manchen übermütigen Ritter gezüchtigt, manches Unrecht gestraft und die reichen Kaufleute und Prälaten, die wucherten und drückten, gezüchtigt und wieder gepreßt, daß sie ihr unrecht Gut herausgaben. Aber die Tat scheint mir nicht gut. Sind wir nicht stark genug, daß wir den Grafen auf offenem Felde begegnen? Mögen wir nicht vor ihre Schlösser rücken und ihre Mauern brechen? Haben sie nicht Länder und Felder und Dörfer, die wir überziehen und einlegen, bis sie sich geben und um Frieden bitten? Dann ist’s an uns, ihnen vorzuschreiben, was das Blut eines freien Mannes gilt.”
Von allen Seiten schrie’s: „Nein, nein! Blut will Blut.” Da mußte er schweigen und wandte sich nicht grade vergnügten Blickes ab. Die anderen traten aneinander und schauten seitwärts auf ihn. Bei ihm stand keiner als Heinrich. Nun rief der Obrist plötzlich mit lauter Stimme Woldemars Namen.
„Woldemar! der Rat der Hauptleute hat den Anführer gewählt, der die Grafen züchtigen soll. Auf dich fiel die Wahl. Das freut mich, Bruder; denn dich lechzte, als ich weiß, lange nach einer wackeren Tat, mit hellen Waffen in der Hand.”
„Auf mich!” rief Woldemar. „Ich soll” —
„Wähle dir fünfzig der besten, oder so es dir nicht genug dünkt, sechzig. Dir sei die Ehre, du sollst die Rechte der freien Männer rächen.”
Dunkelrot flammte es ihm im Gesicht: „Ich auflauern, ich meuchlings morden, Feinde, denen ich nicht abgesagt, edle Ritter, Grafen des Landes! Gebt mir auf, mit fünfzigen, mit zwanzigen, ich soll ihr Schloß Lindau stürmen, ich tu’s. Sie anfallen in der Nacht, als der Fuchs die Henne, das ist nicht an mir.”
„Warum nicht an dir?” rief ein wilder, breitschultriger Kerl, um einen und einen halben Kopf größer als Woldemar, und der Bart hing ihm zottig um sein rußig Gesicht. Der Stärkste wär’ ihm nicht gern allein auf der Straße begegnet.
„Weil das Gurgelabschneiden dein Geschäft ist. Meins ist, mit Männern sich schlagen.”
„Nit doch,” schrie höhnisch der andere, „deins ist, im Sonnenschein liegen, den Vögeln pfeifen und Lieder singen. Rehe tust du schießen und den Mädeln nachjagen. Große Worte machen hast du gelernt, von großen Taten sah ich noch wenig.”
„Heilige Mutter Gottes! Das sollst du büßen.” Und das Jagdmesser zuckte ihm halb aus der Scheide, halb aber ließ er’s stecken, so schrien sie ihm von allen Seiten: „Zurück!”
Beim Thing, das die Stellmeiser hielten, durfte keiner gegen den anderen das Schwert ziehen, außer die Hauptleute hießen es ihm nach gutem Beschluß. Dann war’s ein Gottesurteil, sonst brach er den Bund und ward gestraft. Es konnte ihm ans Leben gehen.
Der große stämmige Kerl, auf eine Keule gestützt, die war ein junger Eichbaum, grinste ihn höhnisch an, und wie er sich nicht rührte, als könnte ihn das Schwert des viel kleineren und schwächeren Woldemar nicht ritzen, mußte es ihn noch schwerer kränken.
„Sagt’ ich’s euch doch, Brüder, immer schon,” lachte der große Kerl, und seine Stimme klang noch rauher und häßlicher als er aussah: „der da gehört nicht zu uns. Er ist kein echter Stellmeiser nicht. Ich weiß, wer er ist.”

„Wer bin ich?” rief Woldemar, und sein Gesicht, das vor­hin rot war, jetzt war es weiß. Und es war nicht mehr Zorn allein, es war auch von Schreck darin. Aber seine Augen, die wollten den anderen durchbohren.
„Von Junkerblut bist du und kein Försterssohn: das hast du gelogen.. Sah dir wohl auf die Finger. Was du bei uns willst, das weiß ich nit. Liefst vielleicht von Haus fort, weil dir lieb Mutter um die Ohren schlug. Muttersöhnlein brauchen wir nit. Bist viel zu fein gebacken; das brauchen wir nit. Willst ausschaun als ein Junker. Brauchen keine Junker nit.”
Da grinsten die wilden Gesellen. „Willst dir Hacken unter die Schuhe binden und groß tun, und bist nur ein Männlein. Willst mehr sein als wir und bist weniger. Willst das Maul auftun bei allen. Dingen, und wo du mitsprichst, das taugt nie was. Als er nicht bei uns war, da ward nicht viel gesprochen, wir schlugen los. Mir gefällt’s nicht, Brüder, so wir uns mit dem und jenem und allen vertragen. Je mehr Feinde der Stellmeiser hat, so freier ist er.”
Das gefiel den meisten: „Hyndemit versteht’s!” Der Obrist sah stumm und forschend auf den langen Sprecher, der fortfuhr:
„Ich hab’s gesagt und sag’s: Seht euch für. Wißt ihr, wer er ist und was er im Schilde führt? Wozu er uns brauchen möchte, und welchem großen Herrn verkaufen? Wir sind nicht hier um Herrendienste, um frei zu sein, sind wir im Wald. Und ich sag’s euch und schwör’s euch: Traut ihm nicht, er ist kein echter Stellmeiser nicht; er ist ein falscher Bruder.”
Es war sehr still. Alle sahen auf Woldemar, und sie erwarteten, nun werde er auf den anderen losspringen. Denn er ließ nichts auf sich sagen. Aber er schwieg, was in ihm vorging, sah keiner.
Da trat der Große auf ihn zu: „Du, Kleiner, ängste dich drum nit. Wir tun dir nichts. Bist ein hübsches Nestkücken. Geh nach Haus zu deinen Liebeltern; so du recht schön bittest, verzeihen sie dir wohl, daß du fortliefst. Und der soll ein Hund sein, der sagt, daß du ein Freier bist.”
Und dabei schlug er ihm mit seiner breiten, braunen Hand auf die Schuller und verzerrte sein Maul, daß es ausschaute als wie eines Wolfes Rachen, und wieherte wie ein Pferd. Dem Heinrich zuckte es durch alle Glieder, aber Woldemar schlug nicht los. Er wandte dem großen Kerl den Rücken und trat auf den Obristen:
„Herr!” sprach er zu dem, sich leicht vor ihm neigend, „Herr! den die speien Brüder zu seinem Haupt erkürten, daß er jeden in seinem Recht schütze; du hast gesehen und gehört, wie mich dieser gescholten und gekränkt. Es heischt der Bundesbrüder Ehre, daß sie keinen Gefallenen unter sich dulden. Ich fordere Recht von dir, daß du ein Gericht bestellest, wo Gott entscheidet, wer ein wahrer Freier ist und wer ein falscher.”
Da entstand ein großer Aufruhr. Der böse Gesell und die ihm anhingen lachten tückisch und schrien: „So sei es! Sie sollen kämpfen auf Tod und Leben.” Viele andere waren davon erschreckt. Der im grünen Wams hatte auch seine Freunde und ihnen bangte vor ihm, und das mit Recht. Denn wie tapfer und kampfgeübt er sich allezeit gewiesen, war er doch als ein Knabe gegen den Riesen. Der Hyndemit, so hieß der große Gesell, wer mit ihm kämpfte, der kam nicht wieder auf. Niemand war, der gern mit ihm anband, und es war sichtlich jedem, er hatte den Streit gesucht, daß er den anderen, der ihm im Wege stand, kränke und ihn fortschaffe. Sie riefen daher, das ginge nicht an. Die Zeit sei nicht, daß die Brüder sich untereinander schlügen. Der große Bund der Freien, dem so viele Städte und Fürsten droheten, und hätten Bündnisse geschlossen, ihn auszutilgen, der müsse zusammenhalten. „Eben darum,” schrien die anderen, „muß man austilgen die Feigen und Falschen.”
Vergebens brachten die anderen dagegen vielerlei vor, es waren nicht gute Redner unter ihnen, die Rohen und Wilden schrien sie zu Boden: „Es muß ein Gericht geben, sonst ist’s um Ordnung und gute Sitte getan.”
Und Woldemar war auf ihrer Seite, als höre er nicht ihr tückisches Lachen: „Bei allen heiligen Schutzpatronen und guten Rittern,” rief er, „die Männer haben recht. Sonder Ordnung kein Bund, und sonder Ehre keine Freiheit. So ihr’s eben wissen wollt: Wenn ihr den Kampf, dessen ich ein gutes Recht habe, verweigert, so brecht ihr den Bund mit mir und stoßet mich aus, und ich bin frei, und nicht mehr als euer Bruder, sondern euer Feind, und kehre zu denen draußen zurück, die meine Freunde waren, und dann sollt ihr an mir erfahren, wer ich bin.”
Heinrich verwunderte sich, wie einer, den sie so gekränkt, und so zornig war er, den Grimm verhalten und ruhig sprechen konnte als er tat. Der Obrist aber, der bis da geschwiegen, winkte nun, daß er reden wolle. Er hatte zu entscheiden.
„Der Bruder sprach wohl,” hub er an. „Solch Schelten gleichen Worte nicht aus. Da entscheidet Gott.”
Da erblaßten viele, die es mit Woldemar hielten, oder doch den Hyndemit nicht mochten, der ein übermütiger Gesell war. Aber was der Obrist so entschieden, da war kein Widerspruch.

Er stand auf und stieß seine Keule auf den Stein. Er sah finster aus und schaute umher, als brüte er etwas. Wen sein Blick traf, schlug die Augen nieder, nur Hyndemit lachte ihn wieder an.
„Ihr freien Männer und Brüder!” sprach er, „sein Recht soll jeder haben, und Ordnung muß sein, als wir dazu geschworen sind, um auszugleichen, was ungleich wird durch Ungerechtigkeit. Die Genossenschaft ist gekränkt in dem einen, darum kämpfen sie nicht um ihre Ehre, vielmehr um der Genossenschaft Ehre, die darf keinen Verräter dulden.”
Da dachten alle: nun ist der Woldemar dem Tode geliefert, und es sei Tücke des Obristen, dem sein Anhang mißfiel. Aber der fuhr fort:
„Doch muß der Kampf gleich sein nach unseren Satzungen; sonst ist’s ein Spott und kein Gericht. Hyndemit ist dem anderen dreimal überlegen. Wie machen wir die Waffen gleich?”
Da schlug einer dies, der andere jenes vor. Der Große solle nur mit einem Arme fechten, und der andere ihm gebunden fein. Dagegen schrie des Hyndemit Rotte. Einer, der war ein Priester gewesen, und Gott weiß, warum er unter die Bande kam, er las ihnen bisweilen Messe und hörte ihre Beichte, so einer beichten wollte; aber er war ein wüster Gesell, ein Säufer und Würfler, und wo sie einbrachen, war er voran, und wirtschaftete, daß es ein Spott war auf einen Priester. Der hob die Arme auf und rief: „Gott hat jedem Menschen zween Ärme gegeben. Das heißt, gegen Gott sündigen, ihm die Waffe nehmen, so er ihm gab.” Hyndemit lachte. So sie ihm nur den linken Arm freiließen, er traute sich seinen Gegner niederzustrecken. Doch der selber sprach dagegen; und wie er da war, wollte er gegen ihn los.
„Einem Freien darf keiner die Arme binden,” sprach der Obrist. „Und doch müssen sie gleich sein an Kräften. Ist denn da keiner, der für den Schwachen sich mit dem Starken messen will?”
Das war wohl so vor alters Sitte; aber es war lange nicht vorgekommen. Alle schwiegen. Der Obrist schaute sie Mann für Mann unter seinen buschigen Brauen an, und Heinrich meinte, auf ihm hafte der Blick.
Während viele unter sich sprachen: wer will sich totschlagen lassen von dem Hyndemit, und am heftigsten sprach dagegen Woldemar selbst, es sei an ihm, daß er seine Ehre verteidige, und kein anderer, da trat Heinrich vor und rief:

„Hier ist der eine, Herr! und so Ihr mich wert haltet, ich will’s aufnehmen mit dem.”
„Heinrich!” rief Woldemar, und wollte ihn zurückreißen. Der aber ließ sich nicht reißen.
„Ich will’s, ich will’s: bin nun ein freier Mann.”
„Nimmermehr!” rief Woldemar noch stärker. „Was hast du mit dem Streit zu thun, der ist nicht um dich.”
„Was! Nicht um mich!” rief Heinrich, „er hat meinen besten Freund gescholten. Das soll er nicht. Hätt’s ohnedem ihm gern, gegeben, als er verdient, um sein gottlos Maul. Und nun der Obrist aufruft, wer’s wagt, ich wag’ es. Ich fürchte mich gar nicht vor ihm.”
„Hauptmann, ich widerspreche!” rief Woldemar. „Das ist ein junger Bursch, der nicht geübt ist im Waffenwerk. Um der Genossenschaft willen, der ich einen guten Streiter zuziehen wollte, und um ihn selbst darf es nicht sein. Lasset ihn nicht zu, ich muß für ihn einstehen, da ich mein Wort für ihn einsetzte. Das muß ich lösen, daß er den Freien Ehre bringt.”
„Just das will ich,” rief Heinrich, „drum laßt mich. Er gab sein Wort für mich, als er mich kaum gekannt. Da wagte er seine Ehre, um mich. Daß er mir vertraute, das muß ich vergelten. Und es soll’s, so Gott will, und ihr Herren. Als er für mich sprach, will ich nun für ihn fechten. Seine Ehre ist meine Ehre und es soll ihm nicht so viel geschehen, dafür bin ich.”
Das hörten alle mit großer Lust an, und ihr Vertrauen stieg zu dem Burschen, den einige vorhin über die Schulter angesehen. Doch was ihnen gefiel, daß er so stolz sprach, gefiel dem, für den er sprach, am wenigsten.
„Da sei” Gott für, wer bist du, und wer bin ich!” rief er.. „Es ist meine Ehr’, und für die hat keiner zu sorgen, denn den: sie gehört.”
Des Obristen Stimme donnerte ihn an: „Du sprichst falsch. Es ist der Genossenschaft Ehre und nicht mehr deine.. Für die wählt die Genossenschaft ihren Kämpfer, und der ist gewählt. Das sei dein Probestück, Heinrich. Was du wünschest, ist dir gewährt.”
Viele jauchzten dem Beifall, aber niemand war froher als Heinrich, und niemand zorniger als Woldemar. Hyndemit grinste recht bös und hatte beiden den Rücken gewandt. Er fürchtete sich nicht vor dem Gegner, den ihm die Hauptleute bestellt: ihn verdroß es nur, daß ihm der entging, auf den er’s gemünzt hatte.

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben,” brummte er. „Wann ich dem rußigen Schmied die Hirnschale eingeschlagen, bezahlt deine weiße Haut dafür mit.” Heinrich, der das gehört, trat ihm näher: „Höre mal, Herr Grobian, als ich von guter Sitte weiß, hört einer auf zu schimpfen, wo er sich drum schlagen soll. Oder er hat denn Angst, und da er sich vor Streichen fürchtet, gibt er Worte dafür. Jetzo hast du’s nicht mit dem zu tun, sondern mit mir. Und jed’ Wort, das du redest, dafür will ich dir drei Streiche wiedergeben, so wahr ich ein Schmied bin und weiß, was Streiche tun. Und so deine Knochen auch Stein wären, ein Amboß hält mehr aus. Verstehst du?”
Da lachten die anderen, und wo das ist, hat der gewonnen, der sie zum Lachen bringt. Ein wie grimmig Gesicht auch Hyndemit machte, sie lachten nur ärger.
Dazwischen hatten die Hauptleute sich wieder besprochen, auf was Art der Kampf vor sich gehen solle, und wo der Ort sei. Da war wie ein Kessel in der Erde mit hohen Wänden, länger als breit, wie man sie wohl in diesen Landen findet. Entweder hat sie der Blitz aufgewühlt und die Erde ist nachgesunken, oder ein, Winterstrom hat sie gerissen und am anderen Ende wieder zugestaut, und das Wasser ist allmählich versiegt und der Boden nur um so tiefer gesunken. Die Senkung schaute fast aus, als eine Gruft für Riesen. Den Ort hielten die Hauptleute für gut. Die Streiter konnten sich nicht ausweichen, und wer fiel, für den war’s ein Grab; man brauchte ihn nicht herauszutragen.
Nur einer grollte abseits, die Arme verschränkt und den Fuß auf eine Wurzel stampfend; und wie er die Finger drückte, daß die Nägel Blut faßten, und die Lippen biß, schien’s, als ringe er mit bösen Gedanken, die ihn verzehrten. Da rührte ihn sanft eine Hand an der Schulter und ein paar blaue Augen schauten ihn an. Wie zornig er war, so gar gut und freundlich blickte ihn der Gesell an, und so klang auch seine Stimme: „Sei mir nicht bös, Kumpan, daß ich’s für dich ausmachen tun soll. Ich konnt’ mich nicht halten und es platzte heraus; und nun haben sie mich bestellt, und es muß so sein, nicht du, nicht ich kann’s ändern. Da springt schon der lange Kerl in die Grube.”
„Heinrich!” sprach halb zürnend, halb weich der Jüngling. „Daß du fallen sollst, so jung, um mich.”
„O das ist’s nicht, warum du zornig bist,” entgegnete jener. „Ich weiß es besser.”

„Daß ich dich herführen mußte zu deinem Verderben, und ich wollte es gut mit dir.”
„Das ist’s auch nicht. Daß du adlig Blut bist und ein Ritter, ich ahnte es wohl, und nun hörte ich’s. Und ich bin nur ein Schmied und habe keine Eltern. Das verdrießt und kränkt dich, daß ein rußiger Schmiedegesell um eines Ritters Ehre sich schlagen soll. Aber sei nicht bös, ich bitte dich, und denk’, du seiest zu gut, daß du mit solchem wüsten Kerl streitest. Oder denke dir, weiß ich doch nicht, wer mein Vater war, daß mein Vater ein Mann gewesen, der um eines Ritters Ehre sich schlagen konnte. Denke dir das, und warum kannst du’s nicht denken? Und dann wirst du wieder froh sein, und ich gehe noch einmal so froh —”
„In den Tod für mich?” unterbrach ihn der andere, und aller Zorn war fort. Fast war es ihm, als würde fein Auge naß.
„Warum denn in den Tod!” rief Heinrich. „Ist mir so froh in den Gliedern und leicht, als sollte ich noch recht lange leben und heute erst anfangen. Du schüttelst mir die Hand: O tausend Dank, tausend, tausendmal. Getrost, Woldemar, ich werde nicht für dich sterben, deine Ehre macht mich stark, und der Händedruck eines Ritters gibt mir Kraft.”
So lagen sich beide in den Armen, und dann erst riß Heinrich sich fort, um sich zu gürten und rüsten. Dem Woldemar war nie weher zu Mute gewesen. Er konnt’ es nicht übers Herz bringen, daß er dem Gefecht zusah.

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Über Omas Jahre

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