Home Hausgarten 1875 bis 1900 Falsche Frikandellen, Bratklopse

1875 bis 1900 Falsche Frikandellen, Bratklopse

by Arthur Piefke


In unserem Archiv handschriftlicher Rezepte und Kochvorschriften eines Bremer Arbeiterhaushalts aus dem Zeitabschnitt 1875 bis 1900 fanden wir diese überraschend schmackhafte Anweisung zur Herstellung „Falscher Frikandellen“.

Gedenken wir der Zeit der Industrialisierung, der unanständig langen Arbeitszeiten in einer 6 Tage Woche, der ungezügelten Kinderarbeit, unvorstellbar armseliger Arbeiterquartiere mit den in 2 Schichten wohnenden Mieter, die sich bis zu 1 Dutzend Personen 1 Zimmer in Größen von 10-20 Quadratmeter ohne Heizung, ohne fließend Wasser, mit Pilzbefall an den Wänden und Massen-Toiletten im Innenhof oder auf halber Treppe.

Hier lebte die Gesellschaft, auf die von außen her herabgesehen wurde, die der Modernisierung als Motor und Treibstoff diente und zum Dank in bitterer Armut hauen musste.
Hier entstanden erste Schutz- und Versorgungsvereine, die Kinder und Frauen unterstützen wollte. Eine Veränderung der Verhältnisse gehörte nicht vorrangig zu ihren Zielen. Zuständig hierfür erklärten sich die Arbeiter-Vereine, die ihre Ideen aus der Revolution der 48iger bezogen und von der besitzenden Gesellschaft und den Fabrikanten auf die gleiche Ebene wie die Revolutionäre stellte, die den Kaiser abschaffen und eine andere Gesellschaft einführen wollten.

Hier das Rezept:

In Ermangelung von teurem und daher selten serviertem Fleisch fand die deutsche Hausfrau in ihrer Not für die vielmäulige, ständig hungrige Familie einen Weg aus dem Mangel:

Sie nahm ca. 10 Kartoffeln, die sie am Vortage bereits gekocht und aus dem Wasser genommen hatte, mit ihrer Schale und quetsche Sie zu einer dem Kartoffelbrei ähnlichen Masse, die sie mit 3 bis 5 Scheiben 1- bis 2-stündig eingeweichten und nicht ganz trocken ausgedrückten Alt-Brotes mischte, dazu gab es Salz, Zwiebeln und das an Gewürzen, welche hierzu passten, dem persönlichen Geschmacke zusagten und auf den Wochenmärkten präsent waren.

Diesen Teig formte die erfahrende Hausfrau zu kleinen, flachen Klopsen, welche sie daraufhin in einer Eisenpfanne OHNE FETT zu handtellergroßen „Frikandellen“ (Klopse) buk.

Diese preisgünstige(n) Speise(n) konnte(n) in ausreichender Menge produziert werden.
Die phantasievolle Hausmutter bekam die Esser ihrer Familie damit in der Tat richtig satt und sie konnte dazu ebenfalls falsche Rostbrat-Würstchen, jede Art Gemüseauflauf, gebratenen Kartoffel, gebackene Omletts oder gekochtes Ei und mit Salaten der Saison auf den Tisch des Arbeiterhaushalts stellen.

Wir haben das Rezept „nachgemacht“, sind von Geschmack und Qualität regelrecht begeistert und werden es auf jeden Fall wiederholen.
Wir sind sicher, dass dies Rezept erheblich älter ist, als das uns vorliegende private Kochbuch von Franzika Meißner / Aschaffenburg aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Allerdings haben wir festkochende Kartoffeln verwendet und in den Teig für die Klopse haben wir vorsorglich noch 4 komplette Hühnereier untergemischt, um dem Teig etwas Festigkeit zu geben.
Er war nämlich etwas krümelig geraten.
Zu wenig Restfeuchte im Teig?
Zu viele Zwiebeln genommen und den Teig dadurch etwas zu grob strukturiert?
Egal, das Ergebnis unsere Test war hervorragend und wir waren wirklich begeistert.

Eine kleine Küchensensation
aus unserer praktischen Rezepte-Sammlung.


Ein Beitrag von “Piefke”, den er am 18.10.2021 hier eingetragen hat

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