Der falsche Woldemar
7.
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Die grüne Waldlust.
Da die anderen gegangen und es still ward im Dorfe, hielt Heinrich beide Hände vors Gesicht, wie einer, der in die Sonne gesehen und kann die Bilder nicht fortjagen, die zückend und kreiselnd ihm vorm Gesicht wirbeln. „Es muß so sein,“ sprach er, und sprang in den Schuppen, darin seine Schlafstelle war, riß den Rock von der Wand, schnürte sein klein Bündel, das er leicht um den Nacken warf, und ergriff den Eichenstock, den er sich selbst im Walde geschnitten. Mit der langen Eisenspitze, die er daran geschmiedet, war’s eine gute Waffe, so ein guter Mann sie führte.
So sprang er in den Garten und über die Hecken. Am Saum des Waldes stand er noch einmal still und schaute zurück. Die Nachmittagssonne fing sich auf den ungestalten, vom Wetter geworfenen Schilfdächern; alle gar anmutig als wie mit grünem Sammet überzogen. Schien’s, als wiege sich gern das warme Licht auf dem grünen Bette, und sauge sich ein in das schwellende Moos. Die Störche saßen auf ihren Nestern hoch auf den Firsten und schauten ihren Weibchen entgegen, die ausgezogen waren und heimkehrten mit Atzung. Es war still in der Luft und auf der Erde. Nur die Heimchen zirpten und die Bachstelzen hüpften über die Raine, und die viel tausend Fäserchen wirbelten und tanzten im Sonnenschein. Da hätte manchem das Herz auch getanzt vor stiller Wonne, und es hätte ihn gelockt, da zu weilen, wo so viel Freude schien.
Der Bursch aber schaute gleichgültig drauf hin. Nur wie einer einer Herberge Valet sagt, darin er über Nacht schlief, und er hat da nichts Liebes gelassen und nichts Liebes geträumt. Er sieht’s nur noch einmal an, daß er weiß, wie das Haus ausschaute, und zieht fürder seines Weges. Er wollte nicht wiederkehren, aber was er wollte, das wußt‘ er auch nicht. In der Welt sich umschauen, wo’s zu tun gab. Aber zuerst wollte er Nacheilen der schönen Reiterin. Da schlug ihm das Herz, war’s vor Lust oder vor Schmerz? Vor Lust, daß er sie wieder säh, vor Schmerz beim Gedanken, daß ihr was widerführe. Wie ingrimmig schwang er den Stock in der Luft, als wär’s ein Schlachtschwert. So stark fühlte er sich, er hätte es mit dreien aufgenommen, in Harnisch von Kopf bis Fuß.
Aber wer mit so mutigen Gedanken läuft und so viel Bildern im Kopf, verfehlt leicht den Weg. Was mehr, wenn gar kein Weg da ist! Er folgte den Hufspuren des Pferdes, und die mußt‘ er freilich kennen, da er selber das Eisen geschmiedet. Aber nun kam tiefer, leichter Sand, der zusammenschlägt, wenn der Fuß heraus ist, und dann fester Rasen, da man auch nichts sieht, und ein Wasser, darin sich die Füße waschen: und suche du drüben, wenn es breit und lang ist, wo das Roß wieder den Boden gewann! So war er schon eine halbe Stunde gerannt und hatte manches Volk Rebhühner aufgejagt, manchen Edelhirsch gescheucht, aber kein Roß gesehen und nicht die weißen Federn aus dem Hut der Reiterin. Durch Wiesenwachs und Elsenbüsche, durch braunes Heideland mit Kieferngestrüpp war er in den Hochwald gekommen; und hier war nicht Weg und Steg, hätte einer aus der Stadt gesagt. Das war dem Burschen gleichgültig, und ihm ward hier erst wohl unter den hohen Eichen und Buchen, die Berg und Tal bestanden. Die kräftigen Bäume, mit ihren Wipfeln himmelan schießend, ließen kein Buschwerk zwischen sich aufkommen. Da blickte die Abendsonne nieder durch das Laub- Gegitter in tausend und tausend goldenen Würfeln auf den grünen Teppich. Der Abendwind rauschte in den Wipfeln und es war doch still. Nur die Spechte hämmerten gegen die Stämme und die Eichhörnchen schwangen sich von Ast zu Ast, und die dürren Äste, die sie abbrachen, fielen raschelnd zu Boden.
Der Bursch blieb stehen, und ihm war gar wohl zu Mute, wie einem ist, wenn er nach langer Arbeit, die ihn niederdrückte, sich das Blut durch einen Lauf im Freien gerüttelt und geschüttelt, und nun fächelt ihn die kühle Abendlust an. Ihm war wohl, aber auch weh, daß ihm keiner begegnete. Er hätte es mögen aufnehmen mit Riesen, und da keine Riesen da waren, schlug er mit dem Stocke gegen die Stämme, daß es weithin hallte. Die schöne Reiterin ereilte er nicht mehr, das sah er nun wohl ein; aber ihm war’s, als müsse er ihr ein Zeichen geben, daß er da sei, daß er das Seine getan, sie aufzusuchen und ihr beizustehen. Da pfiff er aus Leibeskräften; wenn sie’s nicht hörte, mußten’s doch die Räuber hören, und sein Herz lechzte ebenso nach denen, sei’s um seine Kräfte mit ihnen zu messen, oder Brüderschaft mit ihnen zu machen.
Da pfiff es wieder. Aber wie er sich auch umschaute, er sah kein lebend Wesen. Nun pfiff er noch mal, und es antwortete ihm, und zum drittenmal, da glaubte er zu wissen, von wo es kam. Und als er zuging, regte es sich am Boden. Die Helle Sonne, die auf den Fleck fiel, mußte ihn geblendet haben, daß er den Mann nicht früher sah, der dort in seinen Ellbogen gestützt auf einem weichen Moosbett lag.
„Holla, Gesell, wen rufst du?“ rief ihm der entgegen. Ein jung Blut, so von den Jahren, als er selber, und noch minder; und der Bart, der ihm um Kinn und Mund sproßte, gab dem frischen Antlitz noch nicht viel Schatten. Die Sonne spielte auf den roten Wangen und um die blauen Augen, daß man sah, wie fein und hübsch er war. Aber wie er auch lachte, er schaute doch zugleich trotzig drein. Sein Wams war grün, ein wenig verschossen. Ein Hifthorn hing ihm um die Schulter, zween Messer an der Seite, ein langes und ein kurzes, und in der Hand spielte er mit einer Armbrust. Am nächsten Baum gelehnt stand ein kurzer Spieß, wie er im Dickicht gut ist.
Die Frage klang so trotzig, und der Mann regte sich auch gar nicht ein wenig vom Fleck. Darum fand sich der Geselle auch nicht gemüßigt, daß er ihm bescheiden geantwortet. Vielmehr sagte er: „Holla du da, ich ruf‘ mir so, wen ich Lust hab‘.“ Und dabei lehnte er sich auf seinen Stock mit beiden Händen und schaute gar nicht verlegen drein.
„Das ist ein grober Bescheid,“ sagte der vom Walde.
„Die Frage klang auch nit fein,“ antwortete der von der Schmiede.
„Du bist doch nit ein Goldschmied! Auf grob Eisen schlägt man mit grobem Hammer.“
Da überfuhr’s den Burschen, und er stampfte heftig mit dem Stocke in den Rasen: „Du hör mal, wer du auch bist, darum kam ich nicht in den Wald, daß ich einen finde, der auf die Schmiede schimpft.“
„Wahrhaftig!“ lachte der andere. „Glaubte erst, du seiest ein Köhler. Was hat ein Grobschmied im Wald zu suchen?“
„Der Waid ist jedermanns,“ antwortete Heinrich.
„Der Wald ist mein, Gesell!“ rief der im grünen Wams.
„Bist du ein Hegereiter?“
Nun flog etwas wie Zorn über des anderen Stirn, und er spannte die Armbrust: „Das bin ich, und nun lauf, was du laufen kannst. Was in den Wald kommt, ist mein, und ich schieß es.“
So der im grünen Wams meinte, der Bursche werde laufen, hatte er fehlgeschossen. Sprach, ohne nur mit den Augen zu blinken, ob der andere doch tat, als legte er an: „So du ein Hegereiter bist, so bin ich ein Pfaff, und wie der Wald dein ist, so gehört mir die Sonne zwischen den Bäumen und der Mond, der da oben an der Kiefer vorblinkt. Laß das Ding sein, der Bolzen steckt schief, und schießest doch fehl, so du denkst mich zu treffen.“
„Meinst du,“ sagte ruhig der andere und ließ die Armbrust sinken. „Hast recht, zum Schießen stehst du mir zu nah“. Aber schau. Dies Horn ruft gute Leute, und hier die Pfeife. Drauf kommt eine Meute Hunde, die dir das Fersengeld fordern, so du nicht auf der Stelle dich umdrehst und Reißaus nimmst.“
„Spür‘ des keine Lust, Herr Hegereiter,“ entgegnete der Bursch. „So Ihr aber ein Gesell seid, der nicht gute Gesellschaft um sich liebt, da nehmt Euren Bratspieß, und Euer Messer dazu, und kommt her. Wollen’s miteinander ausmachen, wes der Wald ist, Herr!“
„Bei allen heiligen Rittern, der Bursch ist frech!“ rief der vom Walde und war mit einem Satz auf, und der Spieß war in seiner Hand.
Nun waren sie beide auf Manneslänge aneinandergetreten, und maßen sich mit den Augen. Der vom Walde war klein und von zartem Bau; fast zierlich hätte man ihn heißen mögen. Aber an keckem Blick gab er dem anderen nicht nach.
„Also auf Schimpf und Glimpf.“ sprach er. „Gehört eigentlich zu solchem Einzelkampf, daß die Gegner vorher sich messen, so an Stand und Waffen. Du bist ein Schmiedegesell.“
„War’s“, rief Heinrich. „Will itzt ein freier Mann sein. Ihr seid’s doch auch? Also sind wir gleich.“
„Da hast du recht, darin sind wir gleich. Nun muß man fragen, weshalb wir uns schlagen?“
„Tut das not, wo zwei aneinander wollen?“
„Das ist gute Sitte.“
„So. Nun ist ja leicht. Dir behagt’s nit, daß ich dir in den Weg lief, und mir behagt’s nit, daß du mir derquer kamst, wo ich hin will.“
„Wo willst du denn hin?“
„Das kannst du fragen, wann du mich unter hast, eher nicht; weiß auch, was Sitte ist.“
„Nun gilt’s noch die Waffen messen. Ei sieh, ich habe einen Spieß mit Widerhaken, und du nur einen glatten Stachel an deiner Bohnenstange. Das geht nicht nach guten Sitten, da du so drauf hältst.“
„Des kümmert Euch nicht,“ sagte der Schmied. „Mit der Bohnenstange hab‘ ich schon manchen gestachelt, der zehn Widerhaken hatte und größer war als Ihr.“
„Bist du so ein gefährlicher Kämpe, da will ich dir einen Vorschlag tun. Wirf du deinen Spieß fort, und ich werfe meinen fort. Dort Hinterm Baum hängt ein andrer Spieß, der wird für uns beide recht sein, und was weiter not tut, das machen wir nachher aus.“
Der Schmied verstand nicht, was der andere wollte; als der aber wohlgemut seine Waffe von sich warf, mußte er doch auch so tun, und dann folgte er ihm so unbekümmert, als der andere unbekümmert vor ihm herging; gab nicht, als wenn einer hinter ihm wäre, mit dem er’s eben auf Tod und Leben aufnehmen wollte. Ein dicker Eichbaum, daß ihn drei Menschen nicht umspannten, stand ein paar Schritt entfernt, und als sie darum waren, sah er an seiner hohlen Seite ein Feuer schwelen, und über dem Feuer stak, auf zween Gabeln von Holz, ein Spieß und an dem Spieße röstete ein fetter Rehbock.
„Sankt Hubertus!“ rief der im grünen Wams und sprang hastig ans das Feuer los, „Da wär‘ bald um das dumme Zeug der schönste Braten zu Kohle worden.“
Er drehte ihn um, und stieß die Brände zurecht und dann winkte er dem Gesellen, daß er ihn ablöse, und warf sich wieder, als sei gar nichts vorgefallen, daneben hin: „Nicht wahr, Kumpan, unsere Sache hat Zeit, bis der Braten fertig ist. Ihr seid doch auch hungrig?“
Heinrich konnte das nicht abstreiten; sein Magen sprach laut, und der Braten am Spieß duftete gar zu lieblich.
„Zudem, wenn man satt ist, schlägt’s sich’s besser,“ sagte jener.
„Aber dann ist’s dunkel,“ meinte der Geselle und hielt’s für gute Sitte, daß er’s sagte.
„Ei was, morgen ist auch ein Tag, und wer geschlafen hat, schlägt noch besser. Der Wald ist ein großes Bett und, so du’s noch nicht weißt, da schläft sich’s vortrefflich.“
Der Gesell wußte dagegen nichts einzuwenden, vielmehr hielt er’s für Pflicht, nun auch zu tun, was an ihm war, daß der Braten von allen Seiten gut geröstet würde. Das schöne Fräulein, dachte er, wird wohl nun in Sicherheit sein. Darum blies er die Kohlen aus voller Lunge an, bis der andere, sein Jagdmesser rausziehend, in den Braten stach und erklärte, nun sei er gut. Darauf kehrten sie, was von Kohlen und Asche da war, weg, legten Rasen und grüne Zweige auf die heiße Stelle und setzten sich zur Mahlzeit darum. Denn da Teller und Schüssel fehlten, konnte der Braten nicht besser bleiben als am Spieß; und obschon beide tüchtig einschnitten, sah der im grünen Wams doch mit besonderem Wohlgefallen, wie der andere immer herzhafter mit dem Messer in das Fleisch ging. Dachte vielleicht, wer so drauf losgeht, mit dem muß Lust sein auch loszugehen.
Aus seiner Jagdtasche brachte er vor Brot, Salz und was die Mahlzeit würzt, und griff dann in den hohlen Baum. Das machte sie erst vollständig und köstlich. Ein schwerer Henkelkrug war’s mit Wein, davon er in einen Becher goß und es dem Gesellen auf dessen Wohlsein kredenzte. Der besann sich auch nicht lange und leerte den Becher wieder auf das Wohlsein des anderen. Und so ging es mit einem zweiten, dritten und ich weiß nicht wie viel mehr. Dem Gesellen, der lange nicht Wein über die Lippen gebracht, dünkte es ein herrlich Getränk, und zumal im Wald. Der schien ihm nun noch einmal so grün und er schnalzte mit der Zunge und trank jedem Baum und Busch, durch den die Sonne glitzerte, ein Willkomm zu. Nun wurden die Schatten immer länger, und immer feuriger glühten die Wipfel der Bäume, und die Nachtigallen oben in den dichten Kronen begannen ihren wollüstigen Sang. Dem Gesellen war lange nicht so wohl zu Mut gewesen.
Da waren sie unvermerkt in ein Gespräch geraten. Es klang nicht, als ob’s zwei Feinde führten, so froh war’s. Denn das hat der Wein an sich, im Walde wie in vier Wänden, er macht das Herz lustig, und was drinnen schlummert, das wacht auf und will hinaus. Der Gesell meinte, es sei hier alles von selber wohlgemut, so alle Kreatur, die da fliegt und kriecht und läuft, als wie der Baum, der da wächst, und weiß nicht, daß es anders sein könnte. Und fühle sich hier nichts von dem Jammer und der Verwüstung draußen, als wie der Staub von den Straßen hier auch nicht herkommt.
Mit Lust hörte ihm der andere zu.
„Nun, Gesell, ist’s itzo an der Sitt, daß ich dich frage, wohin du willst?“
Heinrich fuhr sich über die Stirn und sah den anderen scharf, aber doch gut an:
Du bist kein Hegereiter nicht.“
Der lächelte: ..So ich’s bin, so bin ich’s auf eigene Hand.“ „Schaute dirs sogleich an, daß anderes hinter dir steckt, als du fürgibst.“
Der andere lachte nun noch herzlicher: „Bist du so gescheit? So kluge Kinder mögen wir bei uns brauchen. Sieh, und ich schau’s dir auch an: du kommst in den Wald und willst nicht zurück.“
Der Bursch schnellte die Finger zusammen: „s‘ gefällt mir nicht mehr da draußen.“
„Mir auch nicht,“ sagte der Grüne. „Auf die Weis‘ finden sich gar manche hier zusammen, denen’s da zu eng und zu wüst.“
Und da verstanden sich beide sonder viel Worte und sprachen noch etliches davon, wie es in dem Lande schlecht hergehe, daß. der Mensch arbeiten müsse als ein Ochs, und so er was meine zu haben, nimmt’s ihm ein anderer, und daß keine Gerechtigkeit sei und kein Glück, als läge Gottes Fluch auf der Mark Brandenburg, und Heinrich fragte, ob’s denn wohl immer so schlecht gewesen sei? —
Der andere hatte sich an den Eichenstamm gelehnt und schaute, die Arme untergeschlagen, in den Wipfel, als lausche er auf den Vogelsang:
„Ei nicht doch,“ sagte er nach einer Weile. „So es immer gewesen wäre, als es ist, wie wüßten wir denn, daß es besser sein kann. Wir meinten dann wohl, es sei von Anbeginn, und strebten nicht nach anderem. Sieh, Gesell, ehedem in diesen Landen war viele Lust. Da sang der Bauer, wenn er am Pfluge ging, und der Schmied auch, wenn er das Eisen hämmerte. Das Singen hast du nun verlernt. Nicht wahr? Und das waren andere Zeilen, und andere Fürsten, die alten! Stolzere sah man nicht im ganzen deutschen Lande. Die brachen Lanzen, wo was zu kämpfen war, in Schimpf und Glimpf! Herr Gott! Was haben die von Anhalt auf die Welschen losgehauen! Und was waren die Ritter an ihren Höfen und schöne Frauen! Da gab’s Bankette und Ringelrennen, und die Wälder hallten vom Jagdlärm wieder. Solche Waldlust, Gesell, die gibt’s nicht mehr. Wenn die Bauern mit bunten Bändern und Schellen durch die Büsche trieben; unter dem Wilde war Walpurgisnacht, die Hirsche wußten nicht wohin, und die Rehe liefen den Jägern in die Hände. Und da der Stahl blinkte in des Ritters Faust, bat Heinrich fuhr sich über die Stirn und sah den anderen scharf, aber doch gut an:
Du bist kein Hegereiter nicht.“
Der lächelte: ..So ich’s bin, so bin ich’s auf eigene Hand.“ „Schaute dirs sogleich an, daß anderes hinter dir steckt, als du fürgibst.“
Der andere lachte nun noch herzlicher: „Bist du so gescheit? So kluge Kinder mögen wir bei uns brauchen. Sieh, und ich schau’s dir auch an: du kommst in den Wald und willst nicht zurück.“
Der Bursch schnellte die Finger zusammen: „s‘ gefällt mir nicht mehr da draußen.“
„Mir auch nicht,“ sagte der Grüne. „Auf die Weis‘ finden sich gar manche hier zusammen, denen’s da zu eng und zu wüst.“
Und da verstanden sich beide sonder viel Worte und sprachen noch etliches davon, wie es in dem Lande schlecht hergehe, daß. der Mensch arbeiten müsse als ein Ochs, und so er was meine zu haben, nimmt’s ihm ein anderer, und daß keine Gerechtigkeit sei und kein Glück, als läge Gottes Fluch auf der Mark Brandenburg, und Heinrich fragte, ob’s denn wohl immer so schlecht gewesen sei? —
Der andere hatte sich an den Eichenstamm gelehnt und schaute, die Arme untergeschlagen, in den Wipfel, als lausche er auf den Vogelsang:
„Ei nicht doch,“ sagte er nach einer Weile. „So es immer gewesen wäre, als es ist, wie wüßten wir denn, daß es besser sein kann. Wir meinten dann wohl, es sei von Anbeginn, und strebten nicht nach anderem. Sieh, Gesell, ehedem in diesen Landen war viele Lust. Da sang der Bauer, wenn er am Pfluge ging, und der Schmied auch, wenn er das Eisen hämmerte. Das Singen hast du nun verlernt. Nicht wahr? Und das waren andere Zeilen, und andere Fürsten, die alten! Stolzere sah man nicht im ganzen deutschen Lande. Die brachen Lanzen, wo was zu kämpfen war, in Schimpf und Glimpf! Herr Gott! Was haben die von Anhalt auf die Welschen losgehauen! Und was waren die Ritter an ihren Höfen und schöne Frauen! Da gab’s Bankette und Ringelrennen, und die Wälder hallten vom Jagdlärm wieder. Solche Waldlust, Gesell, die gibt’s nicht mehr. Wenn die Bauern mit bunten Bändern und Schellen durch die Büsche trieben; unter dem Wilde war Walpurgisnacht, die Hirsche wußten nicht wohin, und die Rehe liefen den Jägern in die Hände. Und da der Stahl blinkte in des Ritters Faust, bat eine edle Frau, daß er des Tieres schone. Einer Frauen Bitte schlug kein Ritter ab. Das war Maienlust, wenn das Tagewerk vorbei, und sie lagerten im Kreis auf grünem Rasen. Da waren Zelte umher aufgeschlagen mit bunten Wimpeln und Fahnen, und Feuer brannte an Feuer, daß sie das Jagdmahl daran bereiteten. Und unter den schattigen Bäumen saßen die schönen Frauen und Fräulein, und die Pokale mit köstlichem Wein kreisten und klangen auf ihr Wohlsein, und mit ihren rosigen Lippen tranken sie wieder auf das Wohl der kühnen Jäger. Und wenn die Schwüle des Tages nachließ, dann bliesen die Hörner auf zum Tanz, und auf dem grünen Rasen schwenkten sie und lachten und haben auch geküßt. Nicht wahr. Gesell, das war ein lustig Leben?“
„Ja, wer da mittanzen konnte — und küssen!“ seufzte der Gesell.
„Und wenn der Mond aufging,“ fuhr jener fort, „da führten sie die Frauen sittig in die Zelte, und die Pfeifer und Geiger mußten süße Weisen spielen, daß sie sanft einschliefen. Und die Ritter fanden überall ein so schön weich Bett als du und ich heut.“
„Es mag gar lustig gewesen sein.“
„Und du glaubst nicht, Gesell, wie sich’s unterm grünen Baume träumt nach solcher Weidlust, der schöne Frauen zusahen, und die Elfen tragen dir ihre geheimen Seufzer zu. Da gaukeln dir die Lieder um die Ohren, die du nie gehört, und wenn du aufwachst, singst du sie, als müßt‘ es so sein. Ja, Lieder wurden gesungen, so süße Lieder, daß der Wind schwieg, und das Laub nicht raschelte, um sie zu hören. Das machte die Fürsten und Herren zu Dichtern. Da griffen sie beim frühen Morgenschein in die Zither und besangen den König Mai, der alles bezwingt und Blumen ausstreut über die Erde; und die Bächlein, die im Walde rauschen, besangen sie und die Lüfte, so mit den Locken der edlen Frauen spielten. Vor allem aber, und da klang erst hoch ihr Lied, das Lob der schönen blauen Augen. Die funkelten herrlicher denn Gold und edele Geschmeid, und ein Blick daraus sei dem Ritter als ein Trunk am Waldquell einem Durstigen, der schon verschmachtet.“
Der Gesell hatte stumm vor sich hingesehen in das Waldgrün, wo der Goldanhauch schon rot worden, und das Rot ward auch schon blaß: „Ach, das sind wohl sehr alte Wunderzeiten, davon Ihr sprecht,“ sagte er.
„Ei, nicht zu alt, daß nicht alte Leute ihrer noch gedächten.“
„Fürsten haben selber gesungen! Das ist doch nicht Sitte, als ich weiß, daß Fürsten Spielleute sind.“
Der im grünen Wams schaute etwas seltsam vor sich hin: „Die Sitte ist itzund ein alt Weib worden. Das hüllt sich in sieben Röcke und stellt sich hinter den Ofen. Fürchtet jeden rauhen Wind, daß es sich nicht erkälte. Als die Alte jung war, da war sie ein schön Weib, das mit dem jungen Volk spielte und hatte kein Arg. Da kränkte es auch die Fürsten nicht, daß sie Spielleute waren und im Zwielicht sangen unter den Fenstern ihrer Schönen. Hörtest du nie vom Markgrafen Otto mit dem Pfeil? Das war die Blume der Ritterschaft, er brach Lanzen mit den Stärksten und war beim Sturme der erste auf den Mauern; aber Minnelieder hat er gesungen mit der Lerche um die Wette.“
Dunkel entsann sich der Gesell, daß er davon gehört. Dem anderen aber war das Herz so voll, daß der Mund nicht enden konnte von den großen Fürsten der Anhaltiner oder Askanier, den Albrechts, den Johannes und Ottos und deren Herrlichkeit; wie sie geherrscht mit großer Kraft und brüderlichem Sinne, und über weite Länder, die sie mit starkem Arm zusammenhielten, und jetzt sind sie zersplittert und gehören hierhin und dorthin. Die Worte zuckten wie Blitze; so folgte er ihnen in Jugendlust, hinauf auf die Türme, wo sie ihre Fahnen aufpflanzten, und in die dunklen Verließe, darin sie gefangen saßen, aber ihr Sinn war frei; auf schäumendem Rappen wie der Sturmwind in die brausende Schlacht und zu manchem kühnen und stillen Abenteuer, wo man keine Begleiter mitnimmt.
„Die Ritterzeit ist nun vorbei!“
Der Schmiedegesell meinte, solche Harnische, als sie dazumal geschmiedet, könnten die Fürsten heut nicht mehr tragen.
„Sie schmieden selber,“ fuhr der andere auf. „Nicht Lanzenspitzen, sondern Ränke. Erbverträge und Bündnisse, die dauern grade so lang, bis sie sich zanken. Die Freundschaft wird abgewogen, wie die Juden die Goldgülden wiegen. Die Fürsten und Edeln verkaufen die Kaiserkrone an den, der zum meisten bietet, das nennen sie wählen. Und hinterm Ofen geschieht’s am Schreibtisch, eine Karte vor sich, da messen sie sich Landes zu, und der Teufel steckt im Tintenfaß, und ein Pfaff in jedem Gänsekiel. Daher ist keine rechte Eintracht mehr und keine rechte Feindschaft. Wo sie aufeinander losgehen, denken sie dran, daß sie sich wieder vertragen können, und wo sie sich vertragen, daß es wieder losgeht. Haben einen welschen Namen für die Klugheit, der gar seltsam klingt; immer besser, als daß sie einen deutschen für hätten.“
„Ihr sprecht ja sehr gelehrt. Habt Ihr das im Wald gelernt?“
„Daß ich’s vergesse, darum bin ich hier. Trink noch eins, Gesell. Hörst du die Nachtigall über uns? Das ist ein Lied aus voller Kehle. Ist des Menschen Kehle nicht voller? Gott gab sie uns, damit wir Lieder singen sollen. Aber, wo soll man singen, wo uns die verdammte Klugheit in den Gliedern steckt. Sie tun das Maul nicht auf aus Furcht, daß es ihre Gedanken verrät.“
Der vom Walde forderte nun den anderen auf zu singen. Aber er wußte kein Lied. Nun sang er selber eins, was der Bursch mit großer Lust anhörte, und noch ein zweites und drittes, und da brach es wie Eis, das sich unmerklich im Frühling löst. Es sang in ihm und nun wurden’s Laute und Worte. Ein Lied kam raus, das er in seiner Knabenzeit gewußt, und hatte es wieder vergessen. Und wo die Worte ihm fehlten und er stockte, half der andere aus. Nun sangen sie beide, und leerten dazu den Krug und waren sehr froh. Da war es dunkel geworden in den Büschen, aber der Mond warft seine Silberfunken durch das junge Eichenlaub nieder, und tausend Wohlgerüche dufteten von der Erde und tausend und aber tausend summende Käfer und Insekten stimmten ein Schlummerlied an, und sie horchten darauf. Sie hatten sich beide angefaßt, aber ehe sie sich’s versahen, waren beide, den Kopf auf dem Pfühl von Moos, sanft eingeschlafen. Das letzte, was Heinrich hörte, war ein Kuckuck in der Ferne. Gott weiß, warum der so spät sang. Er fragte ihn, wie lange er noch leben werde, und wollte zählen, wie oft der Kuckuck antworten würde, aber darüber schlief er ein, und der Kuckuck rief noch immer.
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