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Laß mich nicht in Menschenhände fallen – 1857

by de olde Grotmüdders

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Gerok, Palmblätter

 

Karl Friedrich von Gerok (1815-1890), studierter, praktizierender Theologe und einer der meistgelesenen Schriftsteller des deutschen Sprachraums in der 2. Hälfte des 19. JAHRHUNDERTs, war ein begnadeter Lyriker, wurde ohne eigenes Karrierestreben zum beliebten Bestsellerautor und erreichte in nicht einmal 50 Jahren eine Top-Auflage von mehr als 400.000 Exemplaren seiner Werkes.
„Palmblätter“, welches sich – mit einem heute geläufigen Applaus dekoriert –  „wie geschnitten Brot verkaufte“ und seine Verleger durchaus zu Wohlstand verhalf, war wohl seine erfolgreichste Arbeit.

Das kleine Büchlein (9,5 x 2,5 13,5 cm)  liegt gerade im Original mit sagenhaft toll erhaltenem Goldschnitt vor mir.
Die Großmutter meiner Nachbarin hat es von ihrer Großmutter erhalten und es stets griffbereit in ihrem Nachtschränkchen gepflegt, aufbewahrt. Sogar die mit Golddruck verzierte innere Titelseite ist tadellos erhalten.

Der oben per JPG abgebildete Text wird morgen gescannt und spätestens übermorgen hier eingetragen.
Ich habe im Büchlein hin und her geblättert und etliche der Verse gelesen oder  überflogen.
Beeindruckend ist das schon was dieser – wohl von Herrn J.W. v. Goethe inspirierte – Lyriker da seinerzeit abgeliefert hat.
Auch wenn man nicht unbedingt auf derartige Buchinhalte abfährt, die darin schlummernde Fleißarbeit bestaunt dann auch ein kritischer Leser nicht schlecht.
So etwas hat was.
Ich stelle  mir vor, wie der Verfasser in kalter Jahreszeit in seiner beheizbaren Kammer (neben vielen anderen, die unbeheizbar waren), trotzdem dick eingemummelt, eine wärmende Kappe auf dem Kopf, bei flackerndem Kerzenschein den angespitzten  Federkiel in das flache Fläschchen schwarzer Tinte taucht, ihn am Rande etwas abstreift und auf das Papier auf seinem Schreibpult, langsam und sorgfältig, die im Kopf bereits mehrmals vorformulierten und gegeneinander immer wieder abgewogenen Worte mit kühlen, fingerlos behandschuhten Händen niederschreibt. Sicher wird es in damaligen Arbeitszimmern nach Einbruch der winterlichen Dunkelheit nur behäbig warm gewesen sein, Heizmaterial war nicht umsonst und von den Knechten nur mit schwerer körperlicher Arbeit zu beschaffen. Grad mal so „verschlagen“ wurde beheizt, dass man nicht fror und als Maßstab galt – so sagte mir meine Urgroßmutter – die Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit des eigenen Atems. Und ….. das Klo war auf dem Hof oder der Henkeltopf unterm Bett musste herhalten,
Und wem das noch nicht genug an „Einstimmung“ ist, der informiere sich doch auch über die medizinische Versorgung und die Seuchen dieser Jahrzehnte.

Ja,ja, so wird es gewesen sein. Radios, Elektrisches Licht, eine zentrale Heizung und Kugelschreiber oder gar Schreibmaschinen gab es ja auch noch nicht.
Man war es gewohnt, aber mit unserem Lebensstandard ist da  nichts zu vergleichen. Da gab es diese Gottesfürchtigkeit. Wer es  nicht glauben möchte, dem sei geraten sich über die kriegerischen Auseinandersetzungen zu informieren, die das Leben der einfacheren Bürgersleute, Handwerker,  der Besitz- und Rechtlosen, des abhängigen Personals und der ganz einfachen Hinterhofbewohner, der niedersten „Kaste“ immer wieder zerstörten und deren Pläne zerschlugen,

In diesem Umfeld gab es oft nur noch das Gebet und einen heute  nicht mehr nachvollziehbaren Glauben, eher eine dünne Hoffnung. Egal wie immer man das nennen sollte, mehr hatten die am Ende nicht. Und vergesst nicht, Frauen waren rechtloser als Männer, hatten kein Rederecht und mit einem Erbe oder Landbesitz war das so eine Sache. Das alles gab sie als Mitgift ihrem Manne zum Eigentum, zu seiner selbstherrlichen Verwendung und war diesem schutzlos ausgeliefert.
Die so beschworene gute alte Zeit eben, in der das Wort eines Mannes noch etwas galt und seriöse Geschäfte unzweifelhaft allein durch einen ehrbaren Handschlag besiegelt wurden. Ja, war das so?

Versucht die „Palmblätter“ in diese Zeit einzuordnen.

Gitti will das fromme Büchlein, das ganz sicher vielen unserer Vorfahren Trost und Kraft gespendet haben dürfte, über ihrem Buchscanner digitalisieren, mir die Dateien herreichen und ich werde Euch dann hier zwischendurch immer mal wieder mit einem Palmblatt  dazwischenwedeln.

Bis dann, der Concierge
10.11.2020

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Und hier der Text in modernen Lettern:

Laß mich nicht in Menschenhände fallen

2 Sam. 24, 14.
David sprach zu Gab: Es ist mir sehr
angst, aber laß uns in die Hand des
Herrn fallen, denn seine Barmherzig-
keit ist groß, ich will nicht in der
Menschen Hände fallen.

 

Nicht in Menschenhände laß mich fallen,
Herr, ich weiß, wie Menschentücke thut,
Wie die Taube in des Geiers Krallen,
Wie das Lamm in Tigertatzen ruht;
Laß mich fallen, Gott, in deine Hände,
Ueb an mir dein heiliges Gericht,
Kenn ich doch den Vater, dem am Ende
Ueber seinem Kind sein Herze bricht.

Nicht von Menschenaugen laß mich schätzen,
Welche blind nach Schein und Schimmer gehn,
Tückisch an des Nächsten Fall sich letzen.
Gierig nach des Bruders Splitter spähn;
Leite mich mit deinem Angesichte,
Dessen Flammenblick mein Herz durchblitzt,
Doch deß Vateraug mit mildem Lichte
Vor dem Fall sein schwaches Kindlein schützt.

Nicht von Menschenzungen laß mich richten,
Deren Pfeil am Ziel vorübertrifft,
Eitel ist ihr Lob und frommt mit nichten,
Und ihr Grimm ist gährend Otterngift;
Nichte mich durchs Wort aus deinem Munde,
Wie ein Schwert durchhaut es Mark und Bein,
Aber in die gottgeschlagne Wunde
Träuft es mild der Gnade Balsam ein.

Nicht auf Menschenherzen laß mich trauen,
Nicht auf Herrengnad und Volkesgunst,
Eh will ich mein Korn im Wasser bauen
Und mein Haus im goldnen Wolkendunst;
Laß mich ruhen, Herr, an deinem Herzen,
Unter deinen Flügeln wohnt sichs warm:
Selig, wer in Freuden dir und Schmerzen
Fällt als Kind in deinen Vaterarm.

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Hier endet dieses Palmblatt.
Ich habe deutlich umfangreichere gefunden. Aber fangen wir lieber klein“ an, gewöhnen uns etwas an die weit zurückliegenden Jahrzehnte und arbeiten uns dann langsam vorwärts. Nee, rückwärts!
Ist nicht jedermanns Sache oder hoffentlich „noch nicht“. Als leichte Kost vermag man es auch nicht zu sehen.

Wir wollen in diesem Blog aber auch kein Kinderkram vorstellen.

Mir zumindest bereitet das respektvolle Blättern und aufmerksame Lesen in alten Büchern und Schriftstücken großes Vergnügen.

Claudi
11.11.2020

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