Home Haus + Hof ... 1895 – endlich feuersichere Stroh- und Rohrdächer

1895 – endlich feuersichere Stroh- und Rohrdächer

by Concierge

Im Kochbuch meiner Urgroßmutter Anneliese habe ich beim Blättern diesen vergilbten, herausgerissenen Artikel aus einer uralten Zeitschrift gefunden.
Auf seiner Rückseite handelt es sich um Kochtipps der 1900ter Jahrhundertwende.
Ricarda, Worms, den 05.02.2023


Feuersichere Strohdächer.
In Hof, Garten, Feld und ländlicher Gegend gibt es bekanntlich keine Dachbedeckung, die an Billigkeit und malerischer Wirkung mit einem Stroh – oder Rohrdach wetteifern kann.
Seine unbestreitbare Feuergefährlichkeit hat aber vielfach ein polizeiliches Verbot seiner Anwendung gezeitigt, so daß es trotz der Bemühungen der Vereine für Heimatschutz usw. mehr und mehr verschwindet.
Da dürfte es interessieren, daß jüngst das Problem gelöst wurde, ein Dach herzustellen, welches mit den sonstigen Vorzügen der Strohdächer – Wärme im Winter, Kühle im Sommer – auch an der Feuersicherheit verbindet. Die Erfindung wurde, wie so manche andere, durch Zufall gemacht. Ein inzwischen verstorbener Landwirt Gernentz in Thürkow in Mecklenburg wollte um 1895 ein Strohdach herstellen, in das sich das Ungeziefer nicht einnisten könnte und welches dem Winde keine Angriffspunkte bieten sollte.
Er verwandte dazu eine Imprägnierung, bestehend aus einer Mischung von Lehm, Gips und Gas- bzw. Salzwasser, zündete aus reiner Neugier eine damit getränkte Rohrmatte an und bemerkte, daß diese fast unverbrennlich war.

Die Erfindung blieb fürs erste ungenutzt, da Gernentz nicht vermögend genug war, um dafür Propaganda zu machen. Erst als der Landrat Rogge von Tondern sich der Sache annahmen, konnten die Mittel für die Errichtung eines Brandhauses flüssig gemacht werden, an dem eine in jeder Hinsicht einwandfreie Brandprobe möglich war. Das Haus hatte feste Wände, Türen und Fenster, war 20 m lang, 6 m breit und 1,9 m bis zur Dachtraufe hoch und trug 9 verschiedene Dachbedeckungen: Gewöhnliches Strohdach, Schiefer, Zementziegel, Dachpfannen, Dachpappe und viererlei imprägnierte Rohrdächer.
Ganz sicher zu gehen, wurde es anderthalb Jahre hindurch allem Wind und Wetter schutzlos ausgesetzt, wobei es einen überaus regenreichen Herbst und einen Winter voller Schneestürme überstand. Bei der Brandprobe ergab sich, daß die imprägnierten Dächer vom Flugfeuer nicht angegriffen worden; brennende Pechfackeln brachten sie nur zum Glimmen und die glimmenden Funken erloschen von selbst; schließlich leisteten sie am längsten dem Feuerwiderstand und fielen erst in sich zusammen, als die Sperren und Latten verkohlt waren und das Dach nicht mehr tragen konnten.
Mit diesen Feststellungen unter behördlicher Aufsicht war die Feuersicherheit des imprägnierten Stroh – oder Rohrdaches erwiesen.
Über die Herstellung sei folgendes bemerkt. Man kann dazu Stroh oder vorzüglich das oft bequemer und billiger zu habende gewöhnliche Teichrohr (Phragmites communis) verwenden, und zwar von letzterem ebensogut die kurzen, blattreichen Stengel wie die sonst allgemein bevorzugten langen mit wenig Blättern. Man legt die Lagen, so dick man sie braucht, hin, schneidet sie nach Länge, Breite oder der sonst etwa gewünschten speziellen Form zurecht und näht sie mit dünnem Eisendraht zusammen; hierbei ist genau darauf zu achten, daß die Lagen gleich dick werden, weil es sonst ein unschönes Dach gibt.
So dann werden die Lagen mit Lehm, Gips und Salzwasser getränkt – wo Gaswasser (das bei der Gasproduktion usw. gewonnene Ammoniakwasser) zur Verfügung steht, wird dies mit Vorteil benutzt – und schließlich feucht an Ort und Stelle auf das Sparrengerüst des Dachstuhls gebracht.
Nun kann man es getrost auch dem bösesten Wetter ausgesetzt lassen.
Der Erfindung ist umso mehr eine weite Verbreitung zu wünschen, als sie nicht nur praktisch, billig und von jedermann leicht herzustellen ist, sondern weil die Wiederbelebung des alten malerischen Strohdaches so recht im Sinne der Heimatsfreude und Heimatskultur liegt.

 

You may also like

Leave a Comment

Über Omas Jahre

Hi, ich bin hier die Aufsicht und sozusagen das Mädchen für alles. Ich werde gerufen, um Ordnung zu halten oder aufzuräumen. Jedoch auch, wenn meine Kolleginnen vor Problemen stehen oder Leser/innen sich mit Wünschen oder Nachrichten an die Blog-Redaktion wenden. Bin 365/24 für diesen Blog da, aber nicht rund um die Uhr erreichbar.


Neusten Beiträge

@2024 – Alle Rechte vorbehalten