Ein sehr persönlicher Nachruf auf Betty Gleim
Erna hat uns auf die Idee gebracht, dass wir unser Augenmerk verstärkt auf die einfache Küche richten, die mit Eintöpfen, Aufgewärmten von gestern, die man heute wohl mit dem Schlagwort „Volksküche“ belegen würde. Regionale Produkte waren hier nicht ausgesuchte Spezialitäten, sondern gang und gäbe. Das Besondere waren damals Importe aus dem Süden Europas oder aus Übersee. Beispielsweise Südfrüchte, die es saisonabhängig gab und die z.T. bereits konserviert werden konnten oder Überseeprodukte wie die Ananasfrucht.
Wir haben jede Menge einfache Rezept aus der „Schlichtküche“ gefunden. Viele gibt es bereits seit Jahrhunderten, denn sie basieren auf dem was Feld und Garten hergaben. Mit dem Wald war das so eine Sache. Da hatte der Normalbürger nichts verloren, denn seit in früheren Jahrhunderten Bauern und Landpächter überall in deutschen Landen Baum um Baum und Wald um Wald niedergemäht hatten, begriffen die Obrigkeiten, dass es so nicht weitergehen konnte. Es gab weder ausreichend Wild noch genug Bauholz. Dem gemeinen Volk wurde der Zutritt erschwert, das Jagen und Bewirtschaften untersagt. Das Sammeln von Reisig und Brenngut war unter dem Gesichtspunkt der Wald- und Wegehygiene gestattet. Jagen von Rot- und Schwarzwild war Wilderei und stand unter härtester Strafe. Die Hunde des Landbesitzers waren mehr wert, als der erntereif bestellte Acker, das Leben und die Gesundheit eines leibeigenen, dienstverpflichteten Bauerntölpels und seiner Familie.
Der Schlichtküche standen also für einen Fleischkonsum nur die zahmen Tiere des eigenen Stalls zur Verfügung oder die Angebote des nächst erreichbaren Metzgers, der ein Rind z.B. mit Haut und Haaren verwertete. Denn alles was er durch seinen Schlachtbetrieb erarbeitete wurde an anderer Stelle, auf Höfen, Gütern, in herrschaftlichen wie auch einfachen Küchen gebraucht. Fleisch, Haut und Knochen, Innereien, alles fand Abnehmer.
Der Metzger, Fleischhauer und Knochenhauer fürs Großvieh (Pferde und Rinder) wurde bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts ganz gewöhnlich als Abdecker bezeichnet und selbst er sah darin keine Verunglimpfung. Der Abdecker nahm sich auch der verwundeten und alten Tiere an. Er war der Mann fürs Grobe und der Lieferant fürs Einfache. Vielleicht war er sogar der Vorläufer der später für etwa 2 Jahrzehnte aufkommenden „Freibankschlachtereien“.
In den Kochbüchern von Betty Gleim und den Autorinnen, die ihre Bücher bis in die 1860-iger immer wieder „vermehrten“ und erneut mit ihrem eigenen Namen darin drucken ließen, haben wir 2 identische Rezepte herausgesucht, die als Beispiel dienen sollen, wie lange bestimmte einfache Kochideen in der einfachen Bevölkerung bestanden haben.
Manche finden wir noch heute in ganz modernen und auf Gesundheit ausgerichtete Kochbücher.
Ein guter Eintopf gibt nicht auf,
er wird auch nach 200 Jahren immer noch aufgewärmt !
Rezept aus der Erstausgabe, die Betty Gleim bereits in jungen Jahren verfasste und die ohne exakte Jahresangabe zwischen 1799 und 1805 auf den Buchmarkt kam. Aus dem Vorwort geht hervor, dass sie nicht einmal über genug Zeit und ausreichend Geld verfügte, den Verlagsdrucker aufzusuchen, um ihr Kochbuch selbst Korrektur zu lesen. Sie überließ die Prüfung dem Verlag. Nicht zwingend die allerbeste Idee. Aber ……
Hieraus:
Suppe von Kalbslungen (etwa 1800)
Die Lungen schneidet man einigemale ein, damit sie nicht zu sehr oben schwimmen, setzt sie dann mit kaltem Wasser zu Feuer, und läßt sie ungefähr 2 Stunden mit dem Herzen kochen, dann nimmt man sie wieder heraus, und giebt in die Suppe etwas Reis, so viel man für nötig erachtet, ein paar Petersilien- und Selleriewurzeln, und etwas Salz.
Darauf reinigt man die Lungen von der Haut und von den Adern, zerhackt sie ganz fein, läßt dann eine Hand voll Corinthen und die Schaale von einer Citrone, welche in ganz feine Stücke geschnitten wird, mit einigen Tassen voll Suppe, eine Viertelstunde kochen.
Alsdann gibt man das Gehackte, die Corinthen, den Saft einer Citrone, und etwas Muskatenblüthe, daran.
Man kann auch etwas fein gestoßenen Zwieback dazu nehmen.
(1 x)
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1869 – viele Jahre nach dem Tode von Betty Gleim – machte sich Auguste Siemers daran, mit einer der letzten Überarbeitungen von „Betty Gleim’s Bremisches Kochbuch“ etwas zu verdienen und sie drucken zu lassen. 13. Auflage kurz vor der Jahrhundertwende 1899/1900.
Zwischen der Erstausgabe und der 3. Auflage, die etwa um 1817 die Küchenwelt beglückte, waren deutliche Veränderungen mit dem Buche geschehen. Outfit, Schrift und Register waren nicht wiederzuerkennen. Zu dieser Zeit war Betty Gleim jedoch bereits erkrankt und 10 Jahre später verstarb sie mit nur 46 Jahren.
Bis 1869 blieb ihr Buch im großen und ganzen so, wie sie es 1817 hat verlegen lassen.
Kleinere Ergänzungen und redaktionelle Anpassungen wurde bis zur 11. Auflage, der fortschreitenden Modernisierung und dem Autorenanspruch geschuldet, immer wieder erforderlich.
Hier das Rezept aus der 11. Auflage:
Suppe von Kalbslungen (1869)
Die Lungen schneidet man einigemale ein, damit sie nicht zu sehr oben schwimmen, setzt sie dann mit kaltem Wasser zu Feuer, und läßt sie ungefähr 3 Stunden mit dem Herzen kochen, dann nimmt man sie wieder heraus, und giebt in die Suppe etwas Reis, ein paar Petersilien- und Selleriewurzeln, und etwas Salz.
Darauf reinigt man die Lungen von der Haut und von den Adern, zerhackt sie ganz fein, läßt dann eine Hand voll Corinthen und die Schaale von einer Citrone, welche in ganz feine Stücke geschnitten wird, mit einigen Tassen voll Suppe, eine Viertelstunde kochen.
Alsdann gibt man das Gehackte, die Corinthen, den Saft von einer Citrone, und etwas Muskatenblüthe daran.
Man kann auch etwas fein gestoßenen Zwieback dazu nehmen.
(1 x)
Vielleicht 5 oder 6 Worte wurden verändert und ein Komma wurde weggelassen.
Wir sehen, in der Küche der „Kleinen Leute“ hatte sich in 50 Jahren nichts getan.
Genauso wie in den 2 Jahrhunderten vor 1800.
Nicht einmal die Modernisierung der Rechtschreibung fand Einzug in das Büchlein.
2 Jahre nach dem Erscheinen dieses Auflage ließ sich Wilhelm I in Paris zum Deutschen Kaiser ausrufen. Vielleicht hatte man andere Sorgen.
(1x) Ersatz für fehlende Zitrone
Wir haben Betty Gleim
zu
unserer Lieblingsautorin
gewählt
!
Das Mädchen war ihrer Zeit weit voraus. Sie hatte gesellschaftlich weit vorauseilende Ideen, deren Umsetzung zu ihrer Zeit „einfach nicht drin waren“. Gesundheitlich war sie aufgrund ihrer wirtschaftlich angespannten Situation auch nicht gerade auf der Höhe. Aber sie war eine echte Kämpferin.
Bedenken wir, die Ärzte machten sich über Kranke noch mit Aderlass her, begutachteten die Farbe und den Geschmack des Urins und scheuten sich nach einer Leichenuntersuchung nicht, mit ihren ungewaschenen Händen an das Bett einer Frau heranzutreten, die gerade ein Kind auf die Welt gebracht hatte. Die Landbevölkerung war nicht wirklich weit vom Aberglauben entfernt (in Posen wurde gerade erst 1793 die letzte Hexe verbrannt), es gab noch mehrere hundert Kleinstaaten auf deutschem Boden, überall in diesen herrschte noch die Leibeigenschaft des Grundherren, das Wort Krankenversicherung konnte noch nicht einmal buchstabiert werden.
Diebstahl herrschaftlichen Eigentums wurde schwerer bestraft als der Todschlag eines Bauern durch seinen Grundbesitzer.
Unsere Betty war ein taffes Frauenzimmer (Titelseite ihrer Erstausgabe) und ist von der Welt leider, leider zu Unrecht vergessen worden.
Wir halten sie in Ehren.
Willst Du von hier wieder zurück in unseren „Finde-Index“ und weißt im Moment nicht wie ?
Schau nach unter „Tipps: # 3 (zum Findex)“