Home Recht und Ordnung 1846 machten sich unsere Ururelten bereit für 1848

1846 machten sich unsere Ururelten bereit für 1848

by de olde Grotmüdders

1846 – kurz vor den landesweiten Bürgeraufständen

Obwohl Napoleon den europäischen Gesellschaften auch das Allerletzte abverlangt, die Staaten wirtschaftlich und personell ausgeplündert und ihre Bürger in große Not gestürzt hatte, hinterließ er doch etwas, was den Menschen nun gar nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte:
Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit !
Obwohl das gerade nicht das Motto der napoleonischen Expansionskriege war, nährten diese Worte nach dem Ende der Franzosenherrschaft aber genug Glauben, berechtigt hoffen zu dürfen , dass die vom französischen Kaiser – in den von seinen Truppen überrannten Kleinstaaten auf deutschsprachigem Boden – geschaffene politische und rechtliche Idealsituation über seinen Untergang zumindest in puncto Menschenrechte und bürgerlicher Beteiligung an Politik und Recht Bestand haben würde.
Schließlich hatte gerade die französische Kriegsherrschaft das ideale Vaterland, welches gemeinsam wirkte und gemeinsam schützte, in den Köpfen der unterdrückten Bürger und Widerstandskämpfer erstehen lassen.
Der „Vaterländische Krieg“ war Ehrensache „aller heroischen Deutschen“ und sei es – wenn der Mut zu Taten fehlte oder die Kraft nicht mehr reichte – wenigstens durch passiven Freiheitskampf, durch schleppende und unterlassene Versorgung der einquartierten, durchziehenden, raubenden und plündernden fremden Truppen.

Das alles war der Grund auf Besserung der Verhältnisse in einem neuen „Vaterland“ zu hoffen.
Doch die von der Fremdherrschaft befreiten Bürger und auch die zurückkehrenden – an Geist und Körper geschundenen – Soldaten hatten die Rechnung ohne ihre früheren Landesherren gemacht.

Diese hatten niemals auch einen einzigen Gedanken an ihre Untertanen verschwendet, deren höchste Aufgabe es doch war, ihre Herrschaften zu beschützen, ihr zu dienen, sie auf höchsten Niveau zu versorgen und erneut mit Geld und Güter zu überhäufen, um ihnen den angeborenen, auch in Notzeiten gewohnten Wohlstand wieder herzustellen und das verschwenderische Leben in Prunk und Luxus , in Villen und auf Landgütern auf Grundlage der uralten Herrschaftsrechte und dem nach wie vor existierenden Ständerecht selbstverständlich zu garantieren.

Das alles hing den Bürgern immer weiter zum Halse heraus und wie auch heute, kamen die nachgeborenen Generationen zu mehr Verstand und dadurch zu erweitertem Wissen. Dies wiederum gebar die Idee, dass es so nicht weitergehen könne.
Auswanderer kamen aus Übersee zurück und berichteten von freien Ländern, fruchtbaren Landwirtschaften und erzählten die märchenhaft klingenden Geschichten über ein Leben ohne Adel, ohne angeborene Rechte und der Möglichkeiten, durch Arbeit wohlhabend auf eigenem Grund und Boden zu werden. Einem Grund und Boden, der pro Siedlerfamilie so groß war, wie die gesamten Dörfer mitsamt ihrer dagegen kläglich wirkenden Äcker.
Die Briefe aus dem Ausland und die Besucher von Übersee schafften die Bilder von Ländern, in denen Milch und Honig fließt und den Wunsch, das Wunder im eigenen Land auf eigenem Boden leben zu können.
Noch war es nicht denkbar, dass sich ein Bauer einfach aufmachte, um das Land zu verlassen und wie Hans im Glück ein neues Zuhause zu suchen.
Unmittelbar nach Napoleons Niederlage war alles denkbar, aber nur wenige waren klug genug, ließen alles stehen und liegen, machten sich auf die Socken und gingen stiften. Das lag ihnen nicht im Blut und kam ihnen nicht einmal in den Sinn.
Sich noch tiefer ins Elend stürzen?
Und … da war doch noch das ehemalige Recht des Landesherren, über Leib und Leben seiner Bevölkerung zu bestimmen.
Und … schneller als die von den Kriegen Verwirrten es kapierten, setzten sich die früheren Herren der nun verbrannten und ausgezehrten Ländereien zusammen und regelten 1815 unter sich durch die „Restauration“, hinter verschlossenen Türen, in einer  genannten Abstimmung, dass alles wieder so herrlich werden solle, wie sie es von je her durch Gottes Gnade gewohnt waren.
Damit erhielten sie selbstverständlich auch das Recht zurück, zu bestimmen, wo IHRE jetzt wieder leibeigenen Bauern zu leben, zu wohnen hatten und wann sie wie viel arbeiten mussten, ob sie allein die sogenannten Pachtfelder beackerten oder in der Dorfgemeinschaft alle Äcker in landwirtschaftlicher Produktionsgemeinschaft bewirtschaften mussten, ob die Kinder in die Dorfschule gehen durften und dass die volle 6-Tage-Woche eisern durchzuhalten war.
Sie bestimmten, welchem Glauben die Untertanen zu folgen hatten und sie legten ohne Möglichkeiten auf Ein- bzw. Widerrede Recht und Gesetz, Abgaben und Steuern fest.

Eben waren waren die Söhne der leibeigenen Bevölkerung noch tapfere Soldaten in der erste Linie und großzügiges Kanonenfutter des Gegners, nun – nach dem Krieg – waren sie wieder Leibeigene und es war den Herrschaften ziemlich gleich, ob diejenigen, die ihnen Frack und Schlossgarten gerettet hatten, mit einem Arm oder einem Bein, in verwirrtem oder klarem Geisteszustand die Böden und Viehbestände ihrer Gutsbetriebe in Gang hielten und für ertragreiche, gut verkäufliche Ernten sorgten.

Ich habe hier einmal ein wenig dick aufgetragen, aber seid sicher, dass ich nichts erfunden oder mich an irgendwelchen Filmen in D-Qualität orientiert habe, ich habe vielmehr noch jede Menge der Unbequemlichkeiten des täglichen Lebens oder Dahinvegetierens weggelassen und nicht erwähnt.
Wenn ihr daran interessiert seid, wie Eure Ururahnen gelebt, gelitten und geliebt haben, so „schaut nach bei Eurer Suchmaschine“. Ihr werdet mehr zum Thema „gute alte Zeiten“, in denen der Handschlag noch etwas gegolten haben soll, finden, als es Euch lieb ist.
Und Ihr könnt danach ganz sicher leichter Euren Hut vor den Leistungen und dem unsagbaren Durchhaltewillen und der inneren Kraft dieser Generationen ziehen, die Euch als Vorfahren vorangegangen und Euch den Weg in Euer HEUTE bereitet haben.
Doch genug davon !

Das ständig komplizierte und und von früh bis spät zusammenwirkende „ALLES“ war der Grund, dass  es nach und nach in den Köpfen der von oben Beherrschten und durch althergebrachte Rechtsansichten Reglementierten zu dampfen begann und schließlich um 1848 in ganz Deutschland örtlich, ungeplant, unorganisiert, fast immer von überzeugten Egoisten angestiftet, von Studenten mit angezettelt, zu Revolutionen kam.
Hier und dort flüchteten Stadträte und Regierungsbeamte, hier und dort wurden Gefängnistore geöffnet und hier und dort schien es, als ob nun ein neuer Wind durch den Nahbereich ziehen würde.

Das Ende von Lied:
Niemand hatte wirklich aus der französischen Revolutionsvorlage gelernt – auch hier fraß die Revolution ihre Kinder.
Unfähigkeiten, Eitelkeiten, Meinungsverschiedenheiten, Rechthaberei, üble Nachreden, Verleumdungen, fehlendes Vertrauen, nicht vorhandene Infrastruktur, unerträgliche Diskussionskultur, Planlosigkeit und das alte Lied des „Über-das-Ziel-hinaus-Schießens“ ließ binnen 18 Monaten alles Erreichte in sich zusammenbrechen.
Rädelsführer flüchteten oder wurden inhaftiert, nach geltendem Recht abgeurteilt, nach üblichen Standards eingesperrt oder ohne langes Federlesen gemäß militärischer Regularien hingerichtet.

Durch den erlittenen Schaden wurden spätere, lernfähige Generationen jedoch immer klüger.
Ganz umsonst, wie es auf den ersten Blick aussah, waren die meist blutigen Volksaufstände“ in letzter Konsequenz doch nicht.
Und vielerorts machten schon sehr kurz nach 1848 eiligst einberufene „Reichstage“ plötzlich dauerhaft gültige Veränderungen wahr.
Auch hier hilft Euch das Internet bestens weiter. Besser als ich.

Aus dieser Zeit der Unzufriedenheit, kurz vor den Bürger- und Studentenunruhen und den Rufen „Auf die Barrikaden“ machten sich einzelne Journalisten, mutige Zeitungsmacher, engagierte Flugblatthersteller auf, um die Makel der Zeit anzuprangern und der Volksseele aus dem Herzen zu sprechen (zu schreiben).

Als eine dieser Parabeln, eine von tausenden anderen, welche die Ungerechtigkeiten jener Zeiten in damals üblicher Weise verklausulierten und sicher vor der Zensur umschrieben, veröffentliche ich den nachfolgenden Originaltext:

Die Cisterne.

Fern im Lande Golden lebte vor Zeiten ein furchtbarer Tyrann, ein Gutsherr, der seine leibeigenen Bauern schindete und sie um die geringsten Vergehen abschlachten ließ, als wären sie Vieh und nicht Menschen so gut wie er.
Wenn Einer nicht glauben und beten wollte, wie Er glaubte und betete, wenn Einer nur den leisesten Zweifel gegen die Weisheit seiner Gesetze und Verordnungen äußerte, die doch meist sehr dumm und frech-gewaltsam waren, oder wenn ein Hungriger oder Durstiger ein Stück Obst vom Baume pflückte, den Gott im Freien wachsen ließ; oder wenn Einer nun gar meinte, der theure Gutsherr wäre gar nicht nöthig, die Bauern könnten auch ohne ihn und seine verdammten Schreiber und Treiber das Land bebauen und Früchte ziehen: sogleich wurde ihm der Kopf abgeschlagen und der Leichnam in ein großes tiefes Loch geworfen, das der Tyrann zu diesem Zwecke hatte graben lassen und das er seine „Besserungs-Anstalt“ nannte.
Das Volk rings auf den Gütern und auf den Dörfern weinte nun Tag und Nacht ob seiner Knechtschaft, jagte aber den Tyrannen nicht fort, denn die Geschichte spielt, wie gesagt, vor Zeiten, und vor Zeiten war man noch sehr dumm.
Einst verreiste der Gutsherr auf einige Tage.
Als er wieder kam, hörte er von seiner Burg aus ein seufzendes Rauschen, das ihn sehr befremdete und ängstigte. Er ging dem Geräusch nach und siehe da! seine sogenannte Besserungsanstalt war rings gemäuert und aus einem Steinpfeiler guckte ein steinerner leidender Menschenkopf hervor, dessen Augen Röhren waren, und aus denen, als ob’s lauter Thränen wären, frisches Wasser strömte und seufzend weiterrauschte über das ganze Land.
Der Tyrann zitterte vor Wuth und Zorn und befahl seinen Knechten, augenblicklich den Steinpfeiler mitsammt dem Kopfe umzuhauen. Das geschah denn auch, aber es half nichts.
Das Wasser hatte sich bereits ein Bett gemacht und strömte unaufhörlich aus jener Tiefe und wurde zum großen seufzenden Fluße, der weit, weit über aller Herren Länder hinzog und lange, lange Zeit der Thränenstrom genannt wurde.
Und sein Wasser war giftig. Kein Baum, keine Blume blühte an seinem Ufer, und viele Meilen weit, links und rechts keimte kein Getraide, keine Feldfrucht auf, kein Gras grünte und selbst die Vögel über dem Strome fielen todt in seine Wogen hinunter.
Und immer seufzten seine Wogen und seine Wellen noch unter dem zwanzigsten Nachfolger jenes tyrannischen Gutsherrn, denen nur kleine, vom Ufer des Thränenstromes entfernte Flecke Landes blieben, auf welchen sie aber doch ihre Untergebenen eben so knechteten wie ihr unheiliger Ahnherr.
In der alten Burg dieser Gutsherren ging ein Geist umher, der rief Jedem von ihnen in’s Ohr:
„Gieb Deinen Leibeigenen die Freiheit und die Thränenquelle wird versiegen!“
Darauf hörten sie aber nicht, sondern hätten gern den Geist geschlachtet, wenn sie nur ihn hätten erwischen können.
Nun kam der letzte Herr dieser armen Länder heran und vermählte sich zu öftern Malen, aber all seine Frauen starben, ohne ihm einen Nachfolger zu gebähren. Da er nun auch keine Brüder und Verwandte mehr hatte, und der Thränenstrom immer giftiger wurde, so ward der Gutsherr seines Lebens überdrüssig und stürzte sich in den Thränenstrom und ging darin unter, ohne daß sein Leichnam jemals wieder zum Vorschein gekommen wäre.
Aber im Augenblicke, als er hinunterstürzte, sprang das Wasser hoch auf, und die Wogen kehrten sich um, und zogen nicht mehr von Osten nach Westen sondern von Westen nach Osten. Und der Strom stöhnte und seufzte nicht mehr, sondern ließ eine singende Welle über die andere rauschen, daß es wunderbar-heitere Melodien gab, nach denen die bunten Vögel ihre Köpfe wiegten.
Und schon nach wenigen Tagen waren die Ufer des früheren Thränenstromes grün und blumig, und weithin bis in die Grenzen der Güter war es, als ob ein göttlicher Odem die Erde angehaucht hätte, denn sie überbot sich selbst im Schaffen, und die Blumen und Feldfrüchte, die hohen Gräser und Obst- und Schattenbäume hatten keinen Platz nebeneinander.
Und die Bauern glaubten gar nicht mehr auf Erden zu sein sondern im Himmel.

Aus einem „Volkskalender“ des Jahres 1846
Renata, 21.08.2021

 

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